Unsere Sterbekultur ist eine Kultur des Festhaltens an Gefühlen und Erinnerungen. Sie akzeptiert nicht, dass jemand weg ist. Warum nicht mal loslassen? Da ich in den letzten Monaten vor den Augen aller, die mir folgen, durch zwei sehr harte depressive Episoden gegangen bin, mag es den Einen oder die Andere besorgen, dass mein erster Text […]
Lieber Vater
Der Nachbar mit der Lungentuberkulose
Vielleicht ist es auch keine Lungentuberkulose. Vielleicht ist es auch Lungenpest. Oder Asthma. Oder was Psychosomatisches. Ich weiß noch nicht einmal, welcher Nachbar es ist. Aber er hustet, seit Monaten schon, schlimm. Es ist ein trockener, unaufgeregter Husten. Ein Husten, der anstrengend auf der Lunge ist, weil es nichts gibt, was man aushusten könnte. Der […]
Dinge, verändert
Tod bedeutet Veränderung. Das weiß jeder, der schonmal einen Film mit einer Kartenlegerin gesehen hat. Die Kartenlegerin ist natürlich eine ältere Frau mit krummer Nase, die seltsamerweise mit russischem Akzent spricht. Die junge Klientin, denn natürlich ist es eine Frau, zieht mehrere Karten, deren letzte den Tod zeigt. Erschrocken lässt die Frau die Karte fallen, […]
Lieber Vater: Noch zwei Tage.
22. November 2009. Sonntag. Vati ist noch da. Er lebt. Mutti und ich sind fast ein wenig ungläubig darüber. Wir sagen, wir dachten, dass B.s Geburtstag die letzte Etappe sein würde. Das Letzte, was er noch erleben und erledigen will. Dass er danach in Frieden einschlafen wird. Unter uns sprechen wir offen; das, was gerade […]
Drei Jahre
Drei Jahre ist es her, seit Du weg bist. Drei Jahre. Deine letzten Worte höre ich so deutlich in meinem Kopf als hättest Du sie gestern erst gesagt. Ich höre das Rasseln Deines Atems, dieses unerträgliche Rasseln, das so klingt als ob Du ertrinkst. Ich sehe die Geste, mit der Du Dir immer über den […]
Lieber Vater: Noch drei Tage.
21. November 2009. Samstag. Der Geburtstag meines Bruders. Heute wollen nochmal alle kommen. Mein Bruder, meine Oma (Vatis Mutter), Muttis Schwester. Torte essen, B. gratulieren, zusammen sein, ein letzter Augenblick Normalität, bevor die Hölle losbricht. Mutti und ich wachen wie jeden Tag sehr früh auf, wir tun so als ob wir frühstücken, Vati isst nichts, […]
Lieber Vater: Noch vier Tage.
20. November 2009. Freitag. Ich wache mit Grippe auf. Was, wenn mein Schnupfen Vati tötet, frage ich den Mann. Sein Immunsystem läuft auf Notstrom und ich will nicht Schuld an seinem Tod sein. Ich rufe Mutti an. Ist es okay, wenn ich mit Krankheit komme? Nicht, dass ich ihm den Rest gebe. Sie sagt, mach […]
Lieber Vater: Noch fünf Tage.
19. November 2009. Donnerstag. Heute werde ich Dich alleinlassen. Ich muss nach Berlin, zu einem Arztbesuch. Mutti ist ins Büro gegangen, ihr tiefsitzendes Pflichtbewusstsein habe ich noch nie verstanden, aber vielleicht braucht sie auch einen Moment Distanz. Von Dir, vom Tod. Mein Bruder will im Laufe des Vormittags kommen, er hat noch einen Kundentermin. Vati […]
Lieber Vater: Noch sechs Tage.
18. November 2009. Mittwoch. Ein Termin beim Hausarzt. Das weitere Vorgehen soll besprochen werden. Außerdem müssen nochmal Medikamente gegen die Bronchitis abgeholt werden. Ich sage, ich gehe mit Mutti dorthin. Ich sage es, um ihr, um uns die Chance zum Reden zu geben. Sie ist seit Tagen mit dem Tod allein. Mutti ist niemand, der […]
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