Rammstein: Eine Frage der Haltung

Die Geschichte von Rammstein ist eine Geschichte voller Skandale. Die Band hat schon immer nicht nur mit den Grenzen des guten Geschmacks, sondern ganz ausdrücklich auch jenen des Taktgefühls gespielt. Angefangen bei der durchgehenden martialischen Pose und dem teutonischen Brachialsound, die die Band früh dem Verdacht der Faschismusverherrlichung aussetzten, über Hardcore-Pornovideos, bis zur Indizierung des Stückes “Mein Teil”, in dem auf den Fall des Kannibalen Armin Meiwes referenziert wurde. Rammstein waren immer Provokation, Verachtung der bürgerlichen “guten Sitten”, ihre Texte und Themen waren ein Fest für jeden, der gerne in Subtexten herumwühlt. Ich bekenne unumwunden, dass ich das immer großartig fand. Dieses lustvolle Übertreten von Grenzen, dieses Spiel mit Anstand und Kleingeistigkeit, diese wundervolle Mischung aus Pathos und Aggression, mit der ich mich auf seltsame Weise identifizieren konnte. Rammstein stellten alles in Frage, “was man nicht tut”, weil es sich nicht gehört.

Der Aufschrei der Bürgerlichkeit begleitet also zuverlässig beinahe jedes neue Album, jedes neue Video, und meist regt sich dabei nur mein innerer Troll, der sich darüber freut, wie sich Spießbürger aufregen. Meistens lässt sich der öffentliche Furor weglächeln, weil er nur eine Variation von “Dürfen die das?” ist. Das scheint diesmal anders. Und dann noch einmal anders, denn der Skandal hat im Laufe der letzten Tage mehrmals die Richtungen gewechselt, weshalb es zunehmend schwer wurde, den Überblick zu behalten, und ich diesen Artikel dreimal neu beginnen musste.

Ein kurzer Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit

Die Irin Shelby Lynn hat letzte Woche nach einem Rammstein-Konzert in Vilnius, Litauen, in den Sozialen Medien mehrere Posts geschrieben, in denen sie den Verdacht äußert, auf der exklusiven Aftershow-Party unter Drogen gesetzt worden zu sein. Sie ergänzte ihre Posts mit Fotos, die diverse Prellungen und Striemen auf ihrem Körper zeigten. Verletzungen, von denen sie keine Ahnung habe, wie und wobei sie entstanden seien. Es waren heftige Bilder, die nach deutlicher Gewalt aussahen, und ihren Post einige Glaubwürdigkeit verliehen. Die Implikation von Post und Bildern war mehr als klar, auch wenn Lynn es nicht aussprach: Jemand aus dem innersten Kreis der Band, womöglich sogar Sänger Till Lindemann selbst, hatte sie mit Drogen ausgeschaltet und dann vergewaltigt.

Die Frau beschrieb detailliert, wie sie auf die Party gelangt war. Eine Frau namens Alena kontaktiert offenbar regelmäßig vor Konzerten aktiv attraktive weibliche Fans, stellt ihnen einige Fragen, etwa nach ihrem Alter, und lädt sie dann in die Row Zero, also den Platz ganz vorne an der Bühne, auf Pre- oder Aftershow-Parties ein. Nachdem der Ursprungspost von Lynn einige Aufmerksamkeit bekam, postete sie Screenshots von anderen Fans, die von ähnlichen Erfahrungen berichteten. Die Authentizität der Berichte lässt sich nicht so ohne weiteres prüfen, aber die Berichte wirkten durch Stil, Typos und Sprachfehler zumindest glaubwürdig. Bei Instagram postete sie außerdem Videos, die sie im Gespräch mit engen Rammstein-Mitarbeitern zeigten, alles erschien sehr lückenlos, um es vorsichtig zu formulieren, und mir selbst steckte zu dem Zeitpunkt meine Rammstein-Liebe wie eine Gräte im Hals. Auf dem offiziellen Rammstein-Account wurde recht schnell ein Dementi gepostet.

Den gewalttätigen Rückschluss zogen auch andere User und – wichtiger noch – diverse Medien. Die Worte “Gewalt” und “Vergewaltigung” tauchten in mehreren Artikeln auf und alle stellten die Verbindung zu Till Lindemann her. Shelby Lynn, der Ursprung der Verdächtigungen, verlinkte sie alle unkommentiert in ihren Instagram-Stories. Alles wirkte wie ein weiterer Fall von #MeToo. Zahlreiche Frauen beschließen, nicht länger zu schweigen, und bringen so einen berühmten (meist weißen) Mann mit Macht und Reichweite zu Fall. Entsprechend hoch kochten in den Sozialen Medien die Gefühle – sowohl bei Feministinnen als auch bei Rammstein-Fans. Hüben wurden alte Songtexte und Gedichte aus Lindemanns Feder als Indizien für seine Schuld ins Feld geführt, drüben erschallten die erwartbaren wie ermüdenden Rufe nach Unschuldsvermutung und der Trennung von Kunst und Künstler. Wie oft bei Twitter-Aufregern beschloss ich, erst einmal abzuwarten, bevor ich mich positioniere. Und mir scheint, das war auch ganz gut.

Völlig überraschend schrieb Lynn am 30. Mai, Lindemann habe sie nicht angefasst, sondern akzeptiert, dass sie keinen Sex mit ihm wolle. Sie habe nie behauptet, er habe ihr Gewalt angetan. Nach den recht eindeutigen Implikationen ihres Ursprungsposts erschien das vielen wie ein Zurückrudern, ihre Tweets und Insta-Stories wie Falschanschuldigungen, der Aufmerksamkeit wegen. Als dann auch noch ein Interview mit einer Konzertbesucherin aufkam, die in Vilnius mehr oder weniger die ganze Zeit mit Shelby Lynn zusammen war, und keine einzige von Lynns Behauptungen bestätigen konnte, qualmte mir der Kopf. Aussage gegen Aussage, wieder einmal, und ich dachte “Fuck it, I’m out, wer soll da noch durchsteigen?”

Ich bin sicher, dass nicht zuletzt wegen dieses “Jetzt wird es durcheinander, ich halte mich raus!” viele Anklagen von sexuellen Übergriffen oder Ausbeutung verpuffen. Aussage gegen Aussage, ich kann es nicht prüfen, also bleibe ich still. Und Stille, Schweigen hilft am Ende immer nur den Tätern, niemals den Opfern, so viel sollten wir nach fünf Jahren #MeToo gelernt haben. Das Interview mit Lynns Begleiterin erschien auf einem Youtube-Account, der sich mit “MeToo-Hoaxes” beschäftigt, es ging also von vorne herein in dem Interview darum, Lynn als unglaubwürdig vorzuführen. Grund genug für mich, trotz des Durcheinanders dranzubleiben.

Was, wenn es gar nicht um K.O.-Tropfen geht?

Denn ich glaube, das wirklich Skandalöse hier ist nicht die Frage, ob die Irin unter Drogen gesetzt wurde, oder woher die vielen Prellungen an ihrem Körper kamen. Das Skandalöse, das wirklich Hässliche, das mich Till Lindemann in einem anderen Licht sehen lässt, obwohl ich Rammstein seit zwanzig Jahren innig zugetan bin, ist etwas, das vor der Größe von Lynns ursprünglichen Anschuldigungen und den erschreckenden Fotos zunächst etwas unterging, nämlich das systematische Rekrutieren weiblicher Fans durch jene Alena zum einzigen Zweck der sexuellen Befriedigung von Lindemann. Und im Gegensatz zu dem Drogen-Verdacht, bei dem tatsächlich Aussage gegen Aussage steht und der für Außenstehende kaum zu prüfen ist, wird dieses System von unzähligen Frauen unabhängig voneinander in der gleichen Weise beschrieben. Dabei gilt nicht Aussage gegen Aussage, sondern Aussagen gegen Aussage.

Dieser Aspekt wurde mittlerweile auch von der Süddeutschen Zeitung aufgegriffen, die mit vielen der Frauen gesprochen hat. Die beschriebene Praktik ist weit entfernt von zufälligen Sex-Begegnungen zwischen Star und Groupie, wie es sie vermutlich seit Anbeginn der Musik gibt. Bei Rammstein werden weibliche Fans ganz offensichtlich im Vorfeld von Konzerten gezielt von Alena M. und Joe L., einem weiteren engen Band-Mitarbeiter, nicht nur nach Sexyness, sondern auch nach Willigkeit gecastet. In zahlreichen Screenshots von Unterhaltungen mit den beiden wird teilweise explizit danach gefragt, ob die jeweiligen Fans bereit wären, mit Lindemann Sex zu haben. Auch Shelby Lynn, die den ganzen Skandal in Rollen gebracht hatte, berichtete davon, dass Lindemann sie in der Erwartung von Sex in einem kleinen Kabuff unter der Bühe getroffen habe. Als sie sich weigerte, habe er das zwar akzeptiert, war jedoch höchst aufgebracht, denn “Joe hat mir gesagt, Du würdest Sex mit mir haben!”

Weibliche Fans, das wird an diesem ganzen Aufruhr mehr als deutlich, sind für Lindemann Gebrauchsgegenstände. Dazu da, ihn vor, während und nach den Konzerten zu befriedigen. Der Wutausbruch darüber, dass Lynn keinen Sex mit ihm wollte, entlarvt Lindemann nicht nur als fragiles Ego, sondern auch als Mann, der Frauen gegenüber eine gewisse Konsumhaltung an den Tag legt. Der Anspruch solcher Männer: Du bist hier, um mich zu befriedigen. Frauen, die diesen Anspruch nicht erfüllen, haben das Recht auf Respekt und Hinwendung augenblicklich verwirkt. Welche Frau könnte nicht stundenlang Geschichten erzählen von den Ottonormalverbrauchern, die nur solange freundlich sind, solange sie Hoffnung auf sexuelle Befriedigung haben, um nach einem Korb – egal wie freundlich vorgetragen – auf aggressive Ausbrüche umzusteigen? Es liegt etwas zutiefst Unreifes, ja, Kindliches in dieser Reaktion. Wut, weil man etwas nicht bekommt, was man möchte, erinnert einfach zu sehr an Kinder, die sich im Supermarkt vor dem Quengelregal auf der Erde wälzen.

Was ist normal? Wo beginnt Machtmissbrauch?

Männer, die derart unreif sind, sind immer unangenehm. Aber wirklich unangenehm werden sie, wenn sie zu Macht kommen. Wenn sie in Positionen geraten, in denen sie manipulative Netze auswerfen können, um zu bekommen, was sie wollen. Till Lindemann steckt unzweifelhaft in einer solchen Position. Er ist ein Star, seine weiblichen Fans nicht. Er hat Reichweite, seine weiblichen Fans nicht. Er hat Geld und Einfluss, seine weiblichen Fans eher nicht.

Eine prominente Position bringt immer Privilegien mit sich, das weiß ich als “Ex-Frau von” durchaus und ich finde es nicht schlimm, in einem gewissen Rahmen von diesen Privilegien zu profitieren. Der Rahmen besteht nicht nur aus Legalität, sondern auch Anstand und Respekt vor anderen Menschen. In dem Moment, in dem jemand die Privilegien gezielt nutzt, um andere materiell, sexuell oder in sonst einer Weise auszubeuten, entsteht nach meinem Verständnis Machtmissbrauch. Eine Art Casting-System zu schaffen, in dem Sex mit einem weiblichen Fan nicht mehr abhängig ist von einer situativen Chemie, einem guten, gemeinsamen Vibe, sondern sichere Sache und Grundvoraussetzung für ein “Meet & Greet” mit dem großen Till Lindemann, ist Machtmissbrauch. Wo gezielt darauf geachtet wird, dass keine männlichen Fans und keine Smartphones anwesend sind, da steckt System hinter diesem Zuführen von “Fickmaterial”.

Das hat mit einem unschuldig-frivolen Groupietum nichts zu tun, denn hier enteteht Druck auf die Frauen. Entweder im Vorfeld oder eben in dem unangenehmen Moment, in dem man sich plötzlich mit der Wut eines physisch durchaus einschüchternden Mannes wie Till Lindemann auseinandersetzen muss. Das Victim-Blaming, das in den letzten Tagen immer wieder zu lesen war, kann deshalb nicht greifen. Denn wo Druck ausgeübt wird, wo das Kennenlernen des Idols als Belohnung für sexuelle Verfügbarkeit dient, wo ganz allgemein gesprochen Der Große auf Die Kleine trifft, da sind Sexpartner niemals ebenbürtig. Sie können es wegen des dramatischen Machtungleichgewichtes auch gar nicht sein.

Was bei Rammstein geschieht, ist – oder scheint bis jetzt – nicht strafbar zu sein, klar. Aber – und auch das sollten wir aus #MeToo gelernt haben – justiziable Übergriffe sind nicht der einzige Maßstab für männlichen Machtmissbrauch und sexuelle Ausbeutung von Frauen. Und das ist auch gut so. Denn zu dem Ende eines ungerechten Systems gehört immer auch ein Neuverhandeln von Moral und Ethik. Die Entkoppelung dieser beiden Faktoren von der Justiz ist in meinen Augen ohnehin ein kapitaler Fehler dieser männlichen Zivilisation. Sie ermöglicht Arschlöchern, ihre Macht vollkommen unbehelligt zu missbrauchen, solange sie bestimmte justiziable Grenzen nicht überschreiten. Viele Menschen sehen es als Vorteil der freiheitlichen Welt, dass sie auch Arschlöcher aushalten muss, und bis zu einem gewissen Grad gebe ich diesen Menschen recht. Aber da, wo in den Händen von Arschlöchern Macht zusammenläuft, da, wo Arschlochverhalten sogar mit Ruhm und Reichtum belohnt wird, stimmt etwas ganz grundsätzlich nicht, da muss das System nachgebessert werden. Man kann in meinen Augen die weltweite #MeToo-Welle nicht genug dafür feiern, dass sie gezeigt hat, dass zumindest Frauen nicht mehr länger bereit sind, männliches Arschlochverhalten hinzunehmen.

Ich finde, dass Kunst eine ganze Menge darf. Zum Beispiel sich über gesellschaftliche Regeln und Tabus hinwegsetzen. Niemals wäre es mir in den Sinn gekommen, mich an Empörungsstürmen über Frauen objektivierende Gedichte und Liedtexte zu beteiligen. Egal, ob sie von Rammstein oder von Eugen Gomringer stammen. Kunst darf das. Das fand ich damals und das finde ich heute. Kunst spiegelt immer Innenwelten wider, immer. Und ich denke ganz im Sinne von “Die Gedanken sind frei”, dass Innenwelten verstörend sein können, dürfen, meine eigene Innenwelt ist verstörend. Innenwelten, die nicht verstören, interessieren mich nicht.

Was ich nicht finde: Dass Männer mit Macht sich weiter ungestraft wie Arschlöcher verhalten dürfen sollten – unabhängig davon, ob ihr Verhalten justiziabel ist oder nicht. Statt sich also auf juristische Feinheiten zu konzentrieren, sollte man sich vielleicht viel öfter fragen, ob es in der Situation, die es zu bewerten gilt, ein Arschloch gibt.

Und nach Sichtung von zig Screenshots, Insta-Stories und Gesprächsverläufen, gibt es meiner Meinung nach hier nicht nur ein Arschloch, sondern ein ganzes Arschlochsystem. Ein System, das demaskiert gehört. Ins Licht gezerrt. Angeklagt. Vielleicht nicht juristisch, aber moralisch. Und das alles sage ich mit dem Bedauern eines Fans, der die Kunst dieser Band zwanzig Jahre lang von ganzem Herzen bewundert hat.

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19 Kommentare

  1. Danke für Ihren Text. Da ich mich mit Popmusik nicht auskenne, können Sie mir vielleicht sagen, wo in dieser Sache der “Machtmißbrauch” liegt (wenn man die Sache mit den Tropfen ausklammert, die auf jeden Fall justiziabel ist). Ein Popstar ist kein Vorgesetzter, dem man untersteht und von dessen Macht die eigene Karriere abhängt; ein Popstar ist kein Lehrer, dessen Notengebung man fürchtet. Er ist viel reicher, aber das sind viele andere auch, die mir mit Werbekampagnen was andrehen wollen, die mit Wahlkampf meine Stimme haben wollen. In dem Fall kann er einen Stab von Leuten dafür bezahlen, junge Frauen in sein Bett zu locken. Finde ich nicht ok, aber Machtmißbrauch ist das nicht, ich erkenne kein Machtverhältnis vergleichbar dem zum Chef oder zum Lehrer.

    • Ich habe doch im Text geschrieben, was ich unter Machtmissbrauch verstehe. Jemand, der seine privilegierte Stellung ausnutzt, um andere materiell, sexuell oder sonstwie auszubeuten.

      • Ich habe mich dann nicht klar genug ausgedrückt – diese Definition von Machtmissbrauch ist eben sehr allgemein und was ist denn eine privilegierte Position? Menschen sind nun mal verschieden… Darum meine Vergleiche. Das Machtgefälle zwischen Chef und Volontärin oder zwischen Professor und Studentin ist objektiv, es sind Abhängigkeitsverhältnisse im Zusammenhang mit Verträgen und Hochschulgesetzen, es geht um Beruf und Karriere. Aber zwischen Star und Fan? Ungleich, sicherlich, aber ein Abhängigkeitsverhältnis sicher nicht. Was hinge denn von der Gunst oder Ungunst des Stars für den Fan ab..? Ein Machtverhältnis? Same. Ich sehe nur ein monetäres, und das wiederum gibt es durch die Bank. Wenn für ein Fan das Fantum nicht nur darin besteht, die Musik toll zu finden, sondern den Star zu sehen oder gar mit ihm zu sprechen oder sonst in seine Nähe kommen zu wollen, also alles rund um ein Konzert, dann weiß ich nicht, ob man hier von einem Machtgefälle sprechen kann. Es ist jedenfalls sehr anders als zwischen Chef und Praktikantin usw. Das müsste man vielleicht doch unterscheiden, und das führt zum Kern Ihres Textes – dass K.O. Tropfen ein Verbrechen sind, darüber sind wir uns einig, Sie dagegen versuchen das auf einer moralischen Ebene zu verhandeln. Moral ist subjektiv und die Unterschiede von Moralvorstellungen, wo sie nicht rechtlich kodifiziert sind, stiften immer mehr Unfriede als Friede, denke ich, eben weil man sich darüber ewig streiten kann (und tut). Darum ist es meines Erachtens besser, man stützt sich auf rechtliche Grundlagen, wie in dem Fall auf ein wirkliches Unwilligmachen der Frauen durch Betäubungsmittel. Das Stardasein gewissermaßen als Betäubungsmittel dagegen stellt m.E. keine Grundlage dar, solche Fälle zu verhandeln. Zumal, wenn man es eine “privilegierte” Position nennt, dann wird dieses Privileg gerade durch die Fans vergeben. Dann kann man auch verurteilen, dass die Stars aus diesem “Privileg”, dass Fans ihre Musik toll finden, Geld machen wollen in Form teurer Tickets und anderem Merchandising.
        Aber noch einmal, danke für die Darstellung Ihrer Position, sie regt auf jeden Fall zum Nachdenken an.

        • Mar. K. deine Interpretation der Machtverhältnisse ist soweit verständlich aber auch etwas limitiert. Ohne in einer Opferrolle zu schlupfen, gibt es da für eine Frau noch eine andere Dimension. Die Jahrtausende alte kulturelle Position der Frau ist das sie ihren sozialen Status eigentlich nur aus zweiter Hand bekommt, nämlich durch die ihres Mannes. Das ist kein subjektives Erlebnis aber Fakt. Es wurde in der Vergangenheit explizit juristisch so festgelegt. Das hat natürlich eine tiefe, gesellschaftliche Auswirkung auf die Beziehung zwischen Mann und Frau. Wenn Frauen aufwachsen mit der Idee dass ihr Status direkt verknüpft ist mit dem gesellschaftlichen Erfolg des Mannes den sie wählen oder bekommen können, entsteht eine Abhängigkeit wobei es ums überleben geht. Die Moral kommt ins Spiel wenn diese Situation ausgenutzt wird. Und das wird sie. Manchmal ganz klar und offensichtlich, manchmal eher leise und über Ecken. Wenn einer Frau sich da selbstbestimmt auf einen sexuellen Abenteuer mit einem Popstar einlässt, ist das prima. Wenn aber die tiefsitzende, gesellschaftlich verankerte Muster den Wunsch in der Nähe des Popstars zu sein vorantreiben wird es komplizierter. Davon war sich das Team rundum Till auch sehr bewusst. Deswegen wurden den Frauen auch vorher gefragt ob sie evt. mit Sex einverstanden wären…einen meines Erachtens etwas erbärmlichen Versuch sich aus der Verantwortung zu ziehen. Ziel ist es diese Abhängigkeit in all seine Formen ins Bewusstsein zu bringen, und darüber zu sprechen was sie für Frauen und Männer bedeutet.

  2. Was ich mich als (so ziemlich erstes) fragte: Was stimmt mit dem Typen nicht?
    Der ist NOCH älter als ich (und das will was heißen) und schafft es nicht, normale Beziehungen zu normalen Menschen in seiner eigenen Altersklasse(welchen Geschlechts auch immer) aufzubauen? Und das vermutlich seit gut dreißig Jahren? Wie unreif kann man denn als Sechzigjähriger sein?

    Was für ein armseliges Leben!

  3. Meike, wie immer sehr schön und mit Klarheit auf dem Punkt gebracht. Deutsch ist nicht meine Muttersprache aber dein Essay hat mich ans Denken gesetzt, und ich versuche diese Gedanken hier mal aufzuschreiben. Was mich, neben dem Machtsmißbrauch der ohne Zweifel angeprangert werden muss, doch auch sehr beschäftigt, ist die Verbindung zwischen dem Mensch und seiner Kunst. Ich kenne die Musik von Rammstein nicht gut, habe wohl immer wieder die Songtexte gelesen und konnte darin Talent, persönliche Ehrlichkeit und auch Intelligenz sehen. Die Sprache von Rammstein war dabei für mich immer die Wut und Aggression, und ich sage das ohne weitere Bewertung. Wut existiert nicht ohne Grund. Wenn man für eine Kunstform eine Sprache wählt, oder lieber gesagt, wenn sich einem Künstler eine Sprache aufdrängt, spiegelt das immer, wie du schon oben sagtest, eine innere (verstörende) Welt wieder. Und das ist das Spannende. Diese Sprache ist also das Instrument womit der Künstler diese Welt am Besten ans Licht bringen kann. Wie bei jedem Instrument welches über lange Zeit intensiv benutzt wird, wächst man damit zusammen. Es beeinflusst deine Perspektive, weil es irgendwann so gut in der Hand liegt. Wenn deine Sprache die Wut ist das erst mal dein Ausdrucksweg. Auf Dauer wird daraus jedoch auch eine Materie im Sinne eines Handelns – Oft benutzte Instrumente wetzen ab. Sie müssen immer wieder geschärft und intensiviert werden. So drucken sie nicht nur das Innenleben aus, aber futtern es auch mit neuen Bildern und Ausdrucksweisen, bringen es an neuen Grenzen. Davon kommt kein(e) wahre(r) Künstler(in) weg. Egal im welchen Feld er oder sie arbeitet. Wenn dazu noch Erfolg, Geld und Macht kommen, wird es noch mal einfacher die schon etwas verschwommenen Grenzen zu überschreiten. So wird aus ein Nährboden für die Kunst eine Art zu leben, und manchmal sogar das Gefühl ein Recht zu haben um so zu leben. Ich denke das ist immer toxisch, sowohl für den Künstler persönlich als auch für seine Umgebung.
    Ich weiss, dass ich mit meiner Schreiberei vom eigentlichen Thema etwas abgewichen bin, aber ich denke es ist doch immer schön wenn mann sieht wie die eigene Arbeit die Gedanken anderer anregen. Ich wünsche dir einen schönen Sommer!

    • Liebe Diana,
      hab ganz herzlichen Dank für diese bereichernden Gedanken. Die Frage, inwieweit man als kreative Person mit seinem Stil, seiner präferierten Ausdrucksform verschmilzt, ist ja auch für mich als Autorin spannend. Ich glaube, wie Du, dass man eine Ausdrucksform gut kennen muss, um sich ihrer zu bedienen, aber ich denke nicht, dass man sie auch “leben” muss, falls Du verstehst, was ich meine. Nimm als Beispiel Stephen King, der sich lange vorrangig durch das Horrorgenre ausgedrückt hat, also sehr blutig unterwegs war. Der zeigt heute immer wieder bei Twitter, dass er ein freiheitlich denkender, den Menschen zugewandter Autor ist.
      Aber ebensowenig wie ich denke, dass Rammstein Kannibalen sind, nur weil sie “Mein Teil” geschrieben haben, glaube ich auch nicht, dass sie ihre Partnerinnen eingemauert haben, obwohl sie das in “Stein um Stein” besingen. Das ist ja letztlich gesungener Horror.
      Aber ein spannendes Gedankenspiel, vielen Dank für Deinen Kommentar.

  4. Vielen Dank für den Beitrag – von denen es wohl noch eine ganze Reihe wird geben müssen – solange – wie man liest, die Anzeige von Linn bei der Polizei eine ganze Weile brauchte, bis sie ernst genug genommen wurde und ein Herr ‘grab them by the pussy’ dennoch zum nächsten Präsidenten gewählt wird…

  5. Danke für die Einordnung. Ich fand die bisherige Berichterstattung dazu eher irritierend. Vielleicht darf ich eine Frage stellen: Ich habe gestern auf Arte “Push, Pleasure, Power!” angeschaut und bin etwas irritiert. Ich teile ihre Meinung, dass frau/man in der Kunst viele Grenzen überschreiten darf. Und vielleicht sollte ich so etwas einfach nicht schauen, wenn mich die so extreme öffentliche Betonung von Geschlechtsteilen und von Dominanz-Sex peinlich ist. Mir ist trotz der Texte nicht klar geworden, was diese Art der “Selbstermächtigung” für die Gesellschaft bringt. Wenn diese Frage chauvinistisch oder dumm ist, dann dürften Sie mir das gerne sagen, aber bitte mit einer Begründung.

    • Lieber Hermann,
      ich habe die Doku nicht gesehen und kann daher nur wenig darüber sagen, aber generell ist es ja so, dass vor allem die weibliche Sexualität seit Jahrtausenden in besonderem Maße unterdrückt wurde (Stichwort: eine Frau, die ihre Lust frei lebt, gilt als Schlampe, bei einem Mann wird das als normal akzeptiert). Und das, was sexpositive Frauen tun, ist, sich die Deutungshoheit über ihre Sexualität zurückzuholen. Sehen Sie es doch als Befreiungsschlag gegen eine Form der Frauenunterdrückung. Was das für die Gesellschaft bringt, kann aus meiner Sicht nicht die Frage sein, wenn der Status quo ein Geschlecht in besonderem Maße unterdrückt. Entweder man will eine freie, gerechte Welt, dann gehören dazu auch Frauen, die frei und offensiv mit ihrer Lust umgehen, oder man will das nicht, dann bleibt es bei den alten Sitten, die vor allem Frauen einbläuen, sich sexuell anspruchslos und sittsam zu verhalten.
      Das aber, wie gesagt, ohne Kenntnis des Film und nur meine Ansicht als sexpositive Frau. :)

    • “Mir ist trotz der Texte nicht klar geworden, was diese Art der “Selbstermächtigung” für die Gesellschaft bringt.” Ist das die Frage?
      Statt einer Antwort fallen mir dazu nur zwei Gegenfragen ein…
      1. Wer/was genau ist mit “die Gesellschaft” gemeint? Das von zutiefst androzentrischen Normen geprägte System, in dem wir alle sozialisiert wurden und immer noch leben?
      Für dieses System “bringt” die in der m.E. großartigen arte-Doku gezeigte sexuelle Selbstermächtigung nämlich rein gar nichts. Im Gegenteil, sie ist sogar kontraproduktiv…
      Wer davon profitieren kann, sind “nur” jene (überwiegend jungen) Menschen jeden Geschlechts, die begriffen haben, dass auf der Basis der androzentrisch geprägten Vorstellungen, wie weibliche Sexualität auszusehen hat – und, noch vorsintflutlicher, ob “anständige” Frauen überhaupt eine von männlichen Begierden unabhängige Sexualität haben bzw. haben dürfen – kein authentisches, erfülltes Erleben sexueller Beziehungen möglich ist. Die verstanden haben, dass das Patriarchat nicht nur Frauen, sondern auch Männer sowie Menschen mit allen möglichen Geschlechtsidentitäten unterdrückt und unglücklich macht.
      Frage 2: Wenn Sie sich mal die Musikvideos männlicher Chauvi-Rapper ansehen – in denen weitgehend entblößte Frauen objektiviert, mit explizit herabwürdigenden Bezeichnungen beschrieben und als willenlose Konsumartikel dargestellt werden, die den männlichen Protagonisten zur Verfügung stehen, sobald diese mit genug Geld, Macht und Bling-Bling aufwarten können – sind Sie dann auch “etwas irritiert”? Empfinden Sie das dann auch als eine peinliche Darstellung von “Dominanz-Sex”?
      Falls das der Fall ist, sollten Sie die in “Push, Pleasure, Power!” gezeigten Persönlichkeiten als Repräsentant*innen einer lange überfälligen Gegenbewegung verstehen, die die Definition weiblicher Sexualität aus dem Würgegriff patrarchaler Herrschaft befreien will.
      Sollte es aber nicht der Fall sein (und Sie finden solche Videos NICHT irritierend), kann ich Ihnen – zwecks eines besseren Verständnisses der Zusammenhänge zwischen Patriarchat, Sexualnormen und Unterdrückung – nur die gründliche Lektüre von “Female Choice” empfehlen.

  6. Vielleicht sollten die weiblichen Fans den Spieß umdrehen und unter ich-will-till.de Sexdates mit dem Künstler verlosen. Oder sonstwie auskungeln, welche mit ihm vögeln darf. Die Domain ist noch frei. Interessentinnen gibt es wahrscheinlich genug. Die Frauen nehmen die Sache in die Hand (pun not intended) und ermächtigen sich, auf ihre Weise zu entscheiden, welche das Date mit ihm bekommt. Female Choice halt.

    • Oh Graus! Habe eben mehr Details erfahren und ziehe meinen Vorschlag hiermit zurück. “Den Spieß umdrehen” ist keine sinnvolle Option, bei dem, was da gelaufen ist. Sorry, ich war erst nur sehr oberflächlich informiert.

  7. Wenn ich es richtig verfolgt habe, dann stehen inzwischen auch Vergewaltigungsvorwürfe im Raum. Oder wie sonst soll man die Schilderung der Frau verstehen, die zu sich kommt und Lindemann fragt sie, auf ihr liegend, ob er aufhören soll? Mehrere Frauen berichten von Filmrissen, es steht der Verdacht im Raum, dass zumindest einzelne Frauen bewusst ohne deren Kenntnis unter Betäubungsmittel gesetzt worden sind. Und so wie es aufgezogen wurde, müssen es sehr viele mitbekommen haben und da es nicht vorher zum Aufschrei kam auch mitgetragen.

    Der Eindruck entsteht, dass hier zutiefst misogyn Frauen wie Tiere behandelt worden sind. Vom Scouten bis zum willenlos machen. Und ich frage mich, was das über diese gesamte Band aussagt. Über die im Zuge dessen auch immer wieder nun Schnipsel auftauchen. Dass sie sich damals gegründet hatten, als sie alle Probleme mit Frauen hatten. Und die Kunst und die Person der Künstler scheinen eben doch nicht so trennbar zu sein, wie uns immer weißgemacht werden sollte.

    Ja für die Kunstfreiheit. Aber nein, dass man Kunst nicht immer wieder auch in Frage stellen darf. Denn Täter reden gerne über ihre Taten. Und es ist nicht das erste Beispiel, bei dem man sagen muss, dass wir hier einen Täter beklatscht haben als Gesellschaft der auch seine Taten in der Kunst thematisiert hat.

    Zu provozieren ist das Eine. Aber keinerlei Grenzen anzuerkennen das andere. Lindemann hat in seiner Vergewaltigungsprosa und scheinbar auch in der Realität genau das getan. Als zurecht kritische Stimmen dazu laut wurden, ist es mit dem Lyrischen Ich und der Kunstfreiheit abgewürgt worden. Denn man konnte sehr gut Geld verdienen damit. Und die nächste Frage, die hier im Raum steht ist doch, wieviel mehr noch bei Rammstein kein Spiel, keine Pose war, sondern die Überzeugung und Einstellung der Bandmitglieder.

    Für mich waren Rammstein immer ungefähr genauso gut vertretbar wie Böhse Onkelz. Lippenbekenntnisse, dass man in echt ja gar nicht so sei, habe ich beiden Bands nie abgenommen. Ich hoffe sehr, dass der Rammsteinskandal viel mehr Konsequenzen hat als nur, dass KiWi jetzt nicht mehr mit Lindemann zusammen arbeitet. Ich hoffe, dass Alena M. und alle Beteiligten vor Gericht gestellt werden, so wie es Ghislaine Maxwell passiert ist. Überhaupt riecht das Ganze an viel zu vielen Stellen nach Epstein und wie sie alle heißen.

  8. Ich stimme Mar.K. und Schlimme Helena voll zu. Und wundere mich, dass Du, Meike, viele kluge und richtige Dinge über die Männer und hier insbesondere den Herrn Lindemann sagst, aber kein Wort über die Frauen. Sie sind jung, ja, 18, 19, 20. Aber sie sind keine Kinder mehr. Sie sind in der Medienwelt aufgewachsen. Sie haben me-too in ihrer Pubertät erlebt, also mit wachem Bewusstsein. Und wer ein bisschen in der Pop-Welt bewandert ist, weiß, dass sexuelle Ausbeutung weiblicher Fans kein Phänomen unserer Zeit ist, sondern sehr weit zurückreicht, mindestens bis zu den Beatles und Rolling Stones. Warum wird hier der Eindruck erzeugt, dass ein Großteil der Frauen zumindest im Geiste unschuldig war und keine Verantwortung für sich selbst übernehmen konnte? Es waren ja nicht alle Frauen so. Einige haben durchaus kapiert, was da lief, und nicht mitgemacht. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Diese uralte Lebensweisheit gilt nach wie vor.

  9. Da gibt es also Leute – in diesem Fall werden Alena M. und Joe L. genannt –, die attraktive, sehr junge und leicht zu beeindruckende weibliche Fans als “Fickmaterial” für den Rammstein-Sänger Till Lindemann casten. Und es gibt einen 60 Jahre alten, in einer bestimmten Szene gefeierten “Star”, der es für sein Recht zu halten scheint, diese jungen Verehrerinnen wie Gebrauchsgegenstände zu benutzen – für Sex, der nach Aussage einer Betroffenen “ziemlich schnell und ziemlich gewaltvoll” war.
    Man mag mich für zynisch halten, aber ehrlich gesagt überrascht mich das nicht im Geringsten. Die größte Überraschung beim Lesen dieses Blog-Textes war für mich, dass sich die – wegen ihrer klugen Analysen patriarchaler Herrschaft von mir bewunderte – Autorin Meike Stoverock darin als (Ex-)Fan outet, der “die Kunst dieser Band zwanzig Jahre lang von ganzem Herzen bewundert hat”.
    Aber vielleicht ist das schlicht ein Generationen-Ding: Ich werde in zwei Jahren – wenn alles gutgeht ;-) – 70 Jahre alt. Und vor einem halben Jahrhundert waren Bands wie ‘Ton Steine Scherben’ die musikalischen Provokateure, über die sich die Spießer aufregten. Text und Sound von Songs wie “Macht kaputt, was Euch kaputt macht!” repräsentierten jene Verachtung der bürgerlichen Sitten, nach der sich junge Menschen sehnten, wenn ihnen dämmerte, wie viel in der Welt, in sie hineingeboren wurden, verkehrt läuft…
    Unter “Groupie” verstanden wir ebenfalls etwas völlig anderes. Das waren keine austauschbaren – von Subalternen eines Stars ausgewählte und manipulierte – Sexobjekte, sondern (in unseren Augen) schöne, selbstbewusste Frauen, die dem jeweiligen Star persönlich begegnet waren und denen es geglückt war, eine (wenn auch oft nur kurze) sexuelle Beziehung mit ihm zu haben.
    Auch wenn ich heute ein wenig peinlich berührt bin, wenn ich etwa ein Interview mit Uschi Obermaier lese – mit 18, 19 Jahren habe ich sie glühend beneidet, weil sie Superstars wie Jimi Hendrix oder den Stones so nah kommen konnte. Und schenkt man ihren Erinnerungen Glauben, war da häufig sogar etwas wie Romantik im Spiel… Schließlich haben manche Stars dieser Generation Frauen, die man zu dieser Zeit “Groupies” nannte, wunderschöne Songs gewidmet. Hätte ich als junges Ding die Chance gehabt, mit einem von mir angehimmelten Musiker ins Bett zu steigen, hätte ich vermutlich keine Sekunde gezögert. Hätte sich der Sex mit ihm allerdings als so enttäuschend bis gewaltvoll erwiesen, wie es die betroffenen Frauen über den mit Lindemann berichten, wäre ich die längste Zeit ein Fan gewesen!
    Noch etwas:
    Selbstverständlich darf sich Kunst über gesellschaftliche Regeln und Tabus hinwegsetzen. Danger Dan hat das in “Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt” (https://www.youtube.com/watch?v=Y-B0lXnierw ) wunderschön auf den Punkt gebracht.
    Jedoch – als Rezipientin habe ich ebenso die Freiheit, bestimmte Formen von Kunst Scheiße zu finden. Und Rammstein fand ich schon immer Scheiße, seit ich deren Mucke zum ersten Mal gehört habe. (Übrigens bin ich ein wenig stolz darauf, dass auch meine musikbegeisterten Söhne sich nie für Rammstein erwärmen konnten, obwohl sie in den 90ern noch mitten in der Pubertät – also in einer für dröhnenden Metal-Sound besonders empfänglichen Phase – steckten.)
    Wie “Schlimme Helena” habe ich Rammstein deren “Lippenbekenntnisse, dass man in echt ja gar nicht so sei”, nie abgekauft. “Kunstfreiheit kann auch ein Vorwand sein, sexistische Erzählungen zu verbreiten und Vergewaltigungen zu verherrlichen beziehungsweise zu verharmlosen”, sagt der Musikjournalist Raphael Smarzoch im Deutschlandfunk Kultur (https://www.deutschlandfunkkultur.de/rammstein-till-lindemann-frauen-missbrauch-100.html ).
    Ich habe die in den Rammstein-Texten zutage tretende Menschenverachtung und Frauenfeindlichkeit stets als ernst gemeint aufgefasst – und ihre “Provokationen” als reine Marketing-Masche. Diese Methode, mithilfe von (nicht justiziablen) Tabubrüchen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, wird mittlerweile ja auch von zahlreichen anderen (Möchtegern-)Promis genutzt, von Macho-Rappern bis hin zu Politiker*innen aus der rechts-nationalistischen Ecke. Aber die Band Rammstein war eine der ersten, die die “Provokation um der Provokation willen” systematisch als Vermarktungs-Strategie eingesetzt haben. Allein schon deshalb wünsche ich mir, dass es hier dann doch mal zu strafrechtlichen Konsequenzen kommt!

  10. […] Dieser Blogbeitrag von Frau Meike wurde zwar Anfang Juni und nicht im Mai veröffentlicht. Aber sexueller Missbrauch ist so alt, wie die Welt. Und ich möchte nicht, dass dieses Thema bis Ende des Monats an Relevanz verloren hat. […]

  11. So widerlich das System “Auswahl von F***material” ist, am meisten schockt mich der Teil mit den KO-Tropfen.
    Da wird man als junger, weiblicher Fan ausgewählt, zur Private Party mit der Band zu gehen (bzw. mit dem Sänger, was machen die anderen 5 derweil?), hat die Chance, dem Idol ganz nah zu sein, evtl. Sex mit ihm zu haben und dann wird einem die Erinnerung daran auch noch genommen?
    Was, wenn nicht das Erlebnis “Treffen mit dem Star”, hätte man als Fan davon mit nach Hause nehmen können? Die Anekdote (fiktiv, aber so ähnlich häufig unter Freundinnen erzählt) “weißte noch, damals backstage, ich hatte sogar Sex mit dem. War ganz schön heftig, hat tagelang beim pinkeln gebrannt, aber hey, T! Was hab ich auf den gestanden…” und selbst das wird den Frauen genommen.

    Der grundsätzlich oft vorhandene Consent wird absichtlich außer Kraft gesetzt, sodass völlig ohne Rücksicht auf Vorlieben oder Schmerzen die Frau einfach nur benutzt wird wie eine Gummipuppe aus Fleisch. Und hinterher genauso weggeworfen.

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