Mein Vater starb vor über fünf Jahren mit 62 Jahren für mich völlig überraschend an Lungenkrebs. Er hatte sein Leben lang geraucht, viel, nicht wenig, zeitweise drei Schachteln am Tag. Sein eigener Vater, ebenfalls starker Raucher, war bereits mit 59 seinem Lungenkrebsleiden erlegen. War der Todeszeitpunkt auch überraschend, die Todesursache war es nicht. Der Tod meines Vaters war das schlimmste Ereignis, das ich mir zum damaligen Zeitpunkt in meinem Leben hatte vorstellen können, und die Trauer und das Entsetzen darüber, dass dieses worst case scenario tatsächlich eingetreten war, riss mir vollkommen den Boden unter den Füßen weg. Mitten in die Trauerbewältigung hinein wurde nur gut drei Monate nach Vatis Tod bei meiner Mutter Darmkrebs diagnostiziert. Kein früher, leichter Fall, OP und fertig, sondern weit fortgeschritten, seit langem gewachsen, letztes Stadium vor Metastasenbildung, nur 30% der Menschen mit Stadium-III-Tumoren überleben die fünf Jahre, nach denen man als krebsfrei gilt.
Zunächst konnte mein trauernder Verstand keine Verbindung dieser Ereignisse zu meinem eigenen Leben herstellen. Ich selbst rauchte auch, seit meinem 14. Lebensjahr, zwar nur einen Bruchteil vom Konsum meines Vaters, aber doch regelmäßig. Mein Bruder und ich hatten meinem Vater zwar in seinen letzten Tagen verspochen, damit aufzuhören oder es wenigstens zu reduzieren, aber es waren nicht mehr als verzweifelte Lippenbekenntnisse, die irgendwie doch nur den Zweck eines Handels erfüllten. Ich höre auf, dann bleibst Du noch etwas hier. Ich hörte nicht auf und mein Vater starb. Einige halbherzige Entzugsversuche machte ich, aber das Versprechen, das ich meinem Vater auf dem Totenbett gegeben hatte, blieb zunächst unerfüllt.
Wut ist ein guter Ratgeber
Nach der Krebsdiagnose meiner Mutter hatte ich eine Therapie angefangen, um das Gewicht von Verlust und Sorge schultern zu können. Mein Mann und ich kannten uns zwar schon, aber unsere Beziehung war noch jung und zerbrechlich, weit davon entfernt, ein sturmerprobtes Fundament zu sein, ich brauchte Unterstützung. Neben vielen anderen Dingen sprach ich in dieser Therapie auch über meine Wut darüber, dass meine beiden Eltern einen großen Eigenanteil an ihren Erkrankungen hatten. Mein Vater hatte sich nie in seinen Zigarettenkonsum reinreden lassen, meine Mutter und ich haben viele Male versucht, ihn dazu zu bringen, wenigstens ein bisschen weniger zu rauchen, aber davon wollte er nichts wissen. Meine Mutter dagegen hatte sich nie um eine Darmkrebsvorsorge gekümmert, obwohl drei der fünf Geschwister ihrer Mutter an diesem Krebs erkrankt sind. Der Familienfluch war unübersehbar.
Ich sprach also mit meiner Therapeutin über meine Wut auf meine beiden Eltern, Wut auf ihre Fahrlässigkeit, Wut darüber, dass beide nur an sich und nicht an die anderen Familienmitglieder gedacht hatten, über mein Gefühl, von ihnen allein gelassen worden zu sein. Ich redete und redete und ich bin mir sicher: während ich sprach, erschienen auf meiner Stirn zwei Zahnräder, die sich langsam zu drehen begannen. Es begann zu rattern und zu knirschen, ich dachte an die Zigarettenschachtel in meiner Tasche, ich dachte daran, ob mein Mann auch irgendwann jemandem erzählen würde, wie wütend er auf mich war, weil ich mich zu Tode geraucht hatte. Ich dachte an die Gefühle, die meine Fahrlässigkeit und Achtlosigkeit in ihm auslösen würden, und an das Kind, das wir möglicherweise noch bekommen würden und das vielleicht im Alter von fünfzehn seine Mutter verlieren würde, weil die darauf besanden hatte, ohne Gedanken an andere über ihre Gesundheit zu entscheiden. Dadurch, dass ich rauchte, war mein Lungenkrebsrisiko ohnehin zehnmal höher als das eines Nichtrauchers, die familiäre Vorbelastung erhöht dieses Risiko nochmal um den Faktor drei. Es machte Klick, es war im März 2011, kurz danach rauchte ich meine letzte Zigarette.
Darmkrebs dagegen ist weniger eindeutig an externe Auslöser gebunden. Es gibt zwar Untersuchungen, nach denen bestimmte Ernährungsweisen Darmkrebs begünstigen, aber so klar wie bei Zigaretten und Lungenkrebs ist der Zusammenhang nicht. Darmkrebs ist Freiberufler, der kann immer, wenn er möchte. Meine Mutter hat sich sehr gesund ernährt, viel Körner, viel Fisch, wenig und mageres Fleisch, viel Gemüse und trotzdem hat es sie erwischt. Familiäre Vorbelastung, remember? Bereits die Ärzte im Krankenhaus machten damals meinem Bruder und mir klar, dass es für uns sinnvoll wäre, nicht erst wie alle anderen jenseits der 50 mit der Vorsorge zu beginnen, sondern früher. Vor vier Jahren hatte ich also meine erste Koloskopie, nächsten Montag folgt die zweite.
Gesund sterben
Ich gehörte immer zu denen, die diese Gesundheitshysterie albern fanden. Gesund sterben ist doch voll die Verschwendung, wenn, dann will ich dem Tod auch eine Körperruine überlassen. Das habe ich gedacht, bis sich mein Vater vor meinen Augen innerhalb weniger Tage in eine solche Ruine verwandelt hat. Jeder Atemzug war eine Qual, der Tumor roch aus seinem Hals wie eine Leiche im Keller und irgendwie war er das ja auch, nur dass meine Eltern eben nicht im Keller wohnten, sondern im ersten OG. Mein Vater, der kontrollierende Alphamensch, musste bei jedem Gang gestützt werden, weil sein Körper weniger wog als meiner. 58 Kilo auf 1,85m. Meine Mutter gehört heute zwar tatsächlich zu den 30% Überlebenden, aber sie hat einen hohen Preis bezahlen müssen, um den Krebs zu besiegen. Einige Nebenwirkungen der Chemo sind irreversibel, die Cytostatika haben gesunde Nervenzellen geschädigt und sie hat kaum Gefühl in den Füßen. Von den körperlichen Veränderungen, die der Verlust von 40 cm Darm nach sich zieht, ganz zu schweigen.
Ich will nicht gesund sterben und ich will nicht 93 werden wie meine Omi, die sich zwar körperlich wacker hält, der aber die Demenz den Geist so sehr umnebelt, dass es schwierig ist, einen Umgang mit ihr zu finden. Ich bin nicht romantisch und auch nicht naiv genug zu glauben, ausgerechnet mir würde irgendwann der friedliche Tod im Schlaf vergönnt. Aber eines weiß ich ganz genau: ich möchte älter werden als Anfang sechzig und ich möchte nicht als Zombie sterben, als Klappergerüst, dessen Organe nach und nach durch großzügig wuchernde Geschwüre ersetzt werden, bis es zu schwach zum Gehen, Reden, Atmen ist.
Wer aus Angst, Gedankenlosigkeit, Leichtsinn, Nachlässigkeit oder Realitätsflucht heraus die eigene Gesundheit aufgibt, muss außerdem irgendwann mit der Erkenntnis leben, dass er sich nicht nur selbst, sondern auch die Menschen, die er liebt und die ihn lieben, zerstört hat. Und mit dieser Erkenntnis sterben muss er auch.
Und deshalb gehe ich zu dieser scheiß Darmkrebsvorsorge, die weniger schlimm ist als die Vorbereitung darauf und außerdem ein ewiger Quell für Wortspiele (Brüller: “Darmkrebsvorsorge ist voll für’n Arsch.” – Bitte, gern geschehen). Ich werde drei bzw. fünf Tage Diät halten und schließlich mit Todesverachtung eine Abführlösung herunterwürgen, die schlimmer schmeckt als ein Laternenpfahl ganz unten (wenn ich auch nicht genau im Bilde bin über dessen geschmackliche Qualität). Dann werde ich ungefähr 17 Mal hintereinander auf Klo rennen, dabei meine krebsverseuchten Gene verfluchen und schließlich die Untersuchung hinter mich bringen.
Und wenn alles gut geht, werde ich mich hinterher freuen, dass ich es richtig gemacht habe, dass ich unbeschwert weiterleben darf, dass mein Mann und ich nicht durch meine Rücksichtslosigkeit unglücklich werden. Und dann werden wir hoffentlich etwas essen gehen.
Jetzt weiß ich gar nicht so genau, was ich eigentlich sagen möchte, außer <3 und Danke, dass du das mit uns teilst und alles wird gut.
Deine Texte, wenn du über deinen Vater schreibst, bewegen mich immer sehr. Vielleicht – weil ich mir wünsche, dass mich meine Tochter auch so lieb haben könnte. Hast du es deinem Vater noch rechtzeitig vermitteln können?
150 Kerzen wurden heute in Köln entzündet.
Selbst 63 und Raucher meine ich:
Rauchen oder Leben? Jeder hat die Wahl sich zu entscheiden. Und entscheidet. Nach seinen eigenen Prioritäten. Leben. Oder Rauchen?
Liebe Meike,
gut, wenn dein Beitrag (auch mir) hilft , Vorsorgeuntersuchungen eher wert zu schätzen. Jedenfalls ein bemerkenswertes Bekenntnis dazu, auf ein vernünftiges/gesundes Leben zu achten! Und weil körperliches Wohlbefinden noch keinen gesunden Menschen macht, wünsche ich dir, dass du – bei aller Konsequenz, die ich an dir bzw. deinen Texten sehr mag – weniger hart zu dir selbst sein kannst. Denn du sagst: “Wer aus Angst, Gedankenlosigkeit, Leichtsinn, Nachlässigkeit oder Realitätsflucht heraus die eigene Gesundheit aufgibt, muss…” Ich meine: Dass die ständigen Gedanken daran, über alles nachdenken zu “müssen”, um möglichst (verantwortungs-)bewusst immer alles richtig(!) oder so gut wie möglich zu tun, psychisch und seelisch kaputt machen, also zur völligen Erschöpfung führen. Inzwischen glaube ich, dass es darauf ankommt, sich und seinen Liebsten den Augenblick und damit das Leben mit allen Sinnen wirklich schön(!) zu gestalten.
Es ging mir nicht um Härte oder Paranoia, sondern um die Frage, welche Folgen für die Menschen, die ich liebe, ich meiner eigenen Bequemlichkeit zuliebe bereit bin, in Kauf zu nehmen. Die Vorsorge, zu der ich gehe, ist nichts, wozu ich mich mit der Peitsche zwingen muss, sondern die Kehrseite der Gewissheit, dass ich selbst kaum darüber hinwegkäme, wenn umgekehrt mein Mann aus eigener Fahrlässigkeit sein Leben verlöre.
Da Du Dich fragtest… Die Internettrolle und Zwangskommentierer kommentieren Dir mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dieses Mal nicht, weil schlecht oder doof geschrieben (übrigens: ganz im Gegenteil, wie immer) sondern weil es Themen gibt, die sie mehr meiden und fürchten als den nächsten PC-Virenbefall oder die Vorratsdatenspeicherung: die eigene menschliche Versehrbarkeit und den Tod.
Liebe Meike,
da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll … nicht mit der Kritik, sondern weil mich der Text reißt. Mitreißt, weil so nah an dem dran, was sich auch bei mir ereignet hat. Mein Vater war mit 42 Jahren durch dieselbe Dummheit (2 Schachteln am Tag) am gleichen Punkt – ich damals 21 Jahre. Darmkrebs ist in meiner Familie ebenso “daheim”, wie andere Krebsarten.
Meine Darmkrebsvorsorge schleift leider in den letzten Jahren ein bisschen und daher Danke für den Reminder, dass ich die “zweite große Hafenrundfahrt” für dieses Jahr noch einmal mit auf den Plan nehmen sollte. Danke für deinen Text, denn wenn das Vorsorgethema öfter ein Thema ohne großes Tabu, Ekel oder sonstige Ressentiments wäre, kämen wir endlich voran.
Mein Verhältnis zu Krebs hat sich jedoch entspannt. Entspannt, dass ich sage: “Ich habe keine Angst mehr, dass ich Krebs bekomme – es bleibt nur die Frage, wann und welche Art es sein wird.” Gegen die fiese Sorte, die quasi wie ein Messerstecher hinter der Straßenecke lauert, werden wir wohl machtlos bleiben. Vor dem Randalierer am Ende der Straße, der um sich schlägt, aber lange vorher zu sehen ist, können wir aber vorgehen.
Und trotz aller negativer Erfahrung im Umgang mit diesem einen Körper, der so wichtig ist: mein Stress ist zu hoch, meine Ernährung ein Graus – und ich habe keine Ahnung, warum die Ratio da nicht eingreift und mich auf Kurs bringt.
Dabei WILL ich für dieses Leben fit sein. Ich WILL genießen können aus Flugzeugen zu springen, zwischen Himmel und Erde ein paar Sekunden nur mit mir und diesem Universum allein zu sein und sicher zu landen. Ich will offen sein für meine Kinder, optimistisch und zuverlässig.
Ich denke, ich kann es leisten meine Vorsorge, mein Bedürfnis nach Absicherung und die Maßnahmen an mich zu knüpfen. Aber ich kann weder die Lebensführung meines Vaters ungeschehen machen, noch die meiner Kinder so nachhaltig prägen – sie müssen sich selbst dazu entscheiden. Doch ich wäre gerne dabei und würde all das gerne erleben. Und das ist meine Motivation für Vorsorge … und hoffentlich auch bald wieder für mehr Achtsamkeit im Umgang mit mir.
Alles gute während der nächsten Tage mit all den Gedanken, die damit verbunden sind …
Liebe Meike
Dein Text hat mich sehr berührt. Meine Eltern hatten ebenfalls beide Krebs. Beide waren übrigens die meiste Zeit ihres Lebens ziemlich starke Raucher. Als mein Vater mal die Idee hatte, damit aufzuhören, waren wir insgeheim alle irgendwie auf eine kranke Weise «froh», als er nach einer Woche wieder weiter geraucht hat, weil er ohne die Kippen gelinde gesagt unerträglich war. (Am Rande sei bemerkt, dass mein Vater von Haus aus nicht besonders einfach im Umgang war.)
Ironie des Schicksals: Mein Vater starb im Alter von 54 Jahren. Wie seine Lungen aussahen, kann ich nicht sagen, umgebracht hat ihn nämlich ein Hirntumor. Wie lange der da war, weiss natürlich keiner; von der Diagnose bis zum Ende vergingen noch acht Monate.
Meine Mutter hingegen ist uns erst mal beinahe weggestorben nach einer Routineoperation, weil da gepfuscht wurde. Als sie dann nur noch halb am Leben in die Uniklinik eingeliefert wurde, hat jemand beim Umlagern von irgendwo nach irgendwo anders den noch kleinen Knoten in der Brust gespürt. Da war sie dann also, dem Tod gerade nochmals von der Schippe gesprungen und gleich ging’s weiter mit Mastektoime und Chemo. Verrückt, aber nicht unwahrscheinlich: Brustkrebs ist bei uns in der Familie ungefähr so verbreitet wie bei euch die Darmgeschichte.
Das war vor ca. 20 Jahren, sie hat es geschafft und bis heute kam auch nichts mehr wieder, kein kritischer Befund mehr. Ich bin sehr froh und dankbar. Aufs Rauchen kann sie nicht ganz verzichten, aber ich denke mir dann immer, letztlich ist das alles irgendwie geschenkte Zeit und es wird schon seine Gründe haben.
Ich denke auch, man sollte seinen Nächsten und Geliebten wo immer es geht Schmerz und Leid ersparen. Wer seine Gesundheit aus Bequemlichkeit oder Mangel an Rücksichtnahme aufs Spiel setzt… nun ja, ich will mir kein Urteil erlauben. Ich denke, wer das wirklich mal durchdenkt, wird entweder bewusst und aus den richtigen Gründen entscheiden oder aber – eher so mein Ansatz – verzichten.
Aber das Irrsinnige an diesem Leben ist ja schon, dass man am Ende doch nie weiss, hinter welcher Ecke die Planänderung lauert, in welche Richtung auch immer. Ich hoffe, deine Vorsorgeuntersuchung verläuft schnell und ohne ungeliebte Neuigkeiten – und bei dieser Gelegenheit fällt mir ein, dass ich einen Termin vereinbaren muss.
Alles Gute und liebe Grüsse
Karin
Liebe Meike,
das ist ein sehr bewegender Beitrag, den ich mit großem Interesse gelesen habe. Auch ich habe einen ähnlichen Erfahrungshorizont mit dieser Krankheit. Auch meine Geschwister und ich rennen alljährlich zur Darmkrebsvorsorge. Meine Mutter (eine von 6 Geschwistern, von denen einer bereits daran verstorben ist und einer schwer krank) hatte 2007 Darmkrebs. Seit dem ist sie ihn “los” sofern man so etwas überhaupt los sein kann. Aber wie bei Ihrer, hat die Chemo einen hohen Preis gefordert und um ein Haar wäre sie auch daran gestorben. Der von den Ärzten versprochene “Spaziergang” (sanfte Chemo – bla-bla) war es jedenfalls nicht.
Mit der Krankheit lernt man in den Jahren danach irgendwie umzugehen, mit der Angst vor der Krankeit ist das schon viel schwieriger. Mit der Angst vor der Vorsorge und deren Ergebnissen natürlich auch. Nicht nur für den Betroffenen, auch für die Anghörigen und genetisch disponierten Kinder (wie Sie, Frau Meike und mich auch).
Ich habe nach dem lesen Ihres Textes sehr lange darüber nachgedacht, ob ich gesund oder krank sterben möchte, denn der Gedanke dem Tod gesund gegenüberzutreten ist mir ehrlich gesagt noch nie gekommen. Da musste ich lächeln, so abwägig erschien er mir.
Aber siechen oder schwer krank möchte ich auch nicht sterben. Vielleicht einfach umfallen, BUMM und weg sein, aber selbst fürs umfallen fühlt man sich doch, sofern man noch quietschfidel ist, immer zu agil. Wann ist jemals der richtige Zeitpunkt dafür um zu sagen, so, jetzt ist genug?
Der vorletzte Absatz ihres “Artikels” gefiel mir daher am besten.
“Wer aus Angst, Gedankenlosigkeit, Leichtsinn, Nachlässigkeit oder Realitätsflucht heraus die eigene Gesundheit aufgibt, muss außerdem irgendwann mit der Erkenntnis leben, dass er sich nicht nur selbst, sondern auch die Menschen, die er liebt und die ihn lieben, zerstört hat. Und mit dieser Erkenntnis sterben muss er auch.”
Man sollte auch aus selbstlosen, altruistischen Gründen auf sich und seine Gesundheit achten, um der Menschen willen, die man liebt und die einen lieben.
Was meinen chronisch kranken Mann angeht, der gleich mit mehreren sehr schweren Erkrankungen geschlage ist, rede ich oft gegen eine Wand. Muss betteln und bitten, geh doch bitte zu diesem oder jenen Arzt, lass das abklären,wenn sich Symptome mal wieder verschlimmern …usw.
Das ist zermürbend und extrem anstrengend. Man lebt mit einer Dauerangst des schwingenden Damokles-Schwertes über sich und kann doch nur wenig Parameter steuern.
Oft verspricht er mir dann, dass er es mir zuliebe tun wird, damit ich nicht übrig bleibe und allein sein muss, wenn es für ihn zu Ende gehen sollte. Aber meistens tut er es natürlich nicht. Weil immer etwas wichtiger ist. Geld verdienen, das Überleben sichern, usw. Das ist für den der sich sorgt, eine schlimme Gradwanderung und eine große psychische Belastung. Das geht schon sagt er, ich halte das aus, die Schmerzen sind noch im Rahmen. Aber natürlich sind sie es nicht und als Partner fühlt und sieht man das. Was tut man dann?
Akzeptieren wie sich der andere verhält oder zur nervigen Dauernörglerin und Mahnerin werden, die ständig insistiert?
Wissens Sies? :(
Alles Gute jedenfalls für Sie und sonnige Grüße
T.
Normalerweise gebe ich hier nie direkte Ratschläge, weil ich es wichtig finde, dass jeder seinen eigenen, für ihn gangbaren Weg findet. Da Sie mich aber so direkt fragen: reden Sie mit ihm. Nicht als Nörglerin, sondern als besorgte Partnerin. Sagen Sie ihm, wie es sich für Sie anfühlt, dass er sich so wenig um sich selbst kümmert (hat mein Vater übrigens auch nicht getan, obwohl schon die ersten Symptome auftraten). Erzählen Sie ihm von dem Konflikt, den das in Ihnen auslöst und den ich sehr gut verstehen kann. Einerseits ekelt es Sie vor der mahnenden Mutterrolle, andererseits ist der Zustand, dass er nie zum Arzt gehen will, für Sie unerträglich, weil Sie in der ewigen Sorge gefangen sind.
Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, den konkreten Anlass eines Konfliktes für einen Moment zur Seite zu schieben, und das Ganze etwas grundsätzlicher zu betrachten. Warum ist mir das so wichtig, dass er jetzt dieses oder jenes tut oder nicht tut? Manchmal entpuppt es sich dabei als gar nicht so wichtig, dann schaffe ich es vielleicht, mich wieder zu entspannen. Manchmal wird dem anderen durch dieses Metagespräch aber auch klar, was für Gefühle und Gedanken er in mir auslöst, wenn er sich so oder so verhält. Umgekehrt sollte Ihr Partner natürlich auch den Raum haben, Ihnen seine Gefühle zu erklären. Vielleicht hat er so große Angst vor den Untersuchungsergebnissen, dass er sie lieber nicht (mehr) wissen möchte. Oder vielleicht sind die Untersuchungen sehr unangenehm für ihn. Oder vielleicht hat er die Hoffnung verloren, dass ihm überhaupt ein Arzt helfen kann. All das sind nachvollziehbare Gründe, nicht zum Arzt zu gehen.
Verstehen Sie, worauf ich hinauswill? Man sollte, finde ich, mit jedem Konflikt, mit jedem Streit, mit jeder Grundsatzdiskussion in beiderseitigem Wohlwollen versuchen, einander zu verstehen, die Gefühle des anderen zu verstehen. Er Ihre und Sie seine. Nur dann kann man eine Lösung finden.
Ich wünsche Ihnen Glück und Erfolg dabei.
Liebe Frau Meike,
das war furchtbar lieb und ich glaube so versuchen wirs auch schon.
Angst vor den Ergebnissen hat er übrigens immer, heilbar ist es nicht und irgendwann wirds auch maligne aber naja, wir versuchen das Beste draus zu machen und die Zeit bis dahin die Schubfrei ist irgendwie zu genießen. Dumm nur, dass gleich mehrere sehr einschränkende Kranhkeiten sich bei ihm die Klinke in die Hand geben, das macht es natürlich nicht gerade leichter.
Vielen Dank aber für Ihren analytisch wertvollen Kommentar.
Liebe Grüße
Tina
Hallo Frau Meike,
das mit dem Essengehen danach ist so eine Sache… Ich bin auch essen gegangen. Man hat Lust auf was Gutes und dann ist man nach einigen Bissen schon satt…
Beim Trinken der Abführlösung versuchte ich, mir einzureden, ich tränke einen Cocktail. Hat eher so mäßig geklappt ;- )
Alles Gute!!!