Ja, Damen und Herren, ich habe es getan. Ich habe mir “Fifty shades of grey” angeschaut und weil zwar schon alles dazu gesagt wurde, aber nicht von mir, muss ich jetzt über meine Gedanken und Gefühle bloggen.
Vieles ist über das Machwerk (ich behandle hier Buch und Film synonym, weil ich davon ausgehe, dass die wesentliche Handlung werktreu umgesetzt wurde) geschrieben worden. Vielerorts ist auf die haarsträubende Übergriffigkeit eines steinreichen, hochgradig neurotischen Mannes hingewiesen worden, die in dem Werk als Romantik dargestellt wird. Von Stalking über zwanghaftes Kontrollverhalten bis hin zu massiver emotionaler Manipulation einer unerfahrenen Frau war alles dabei, was das feministische Herz begehrt. Das Machwerk enthielt die exakte Blaupause für eine toxische Beziehung(sanbahnung). Menschen, die BDSM seit vielen Jahren leben, wiesen außerdem darauf hin, dass die Darstellungen nichts mit BDSM zu tun haben. Dass es bei BDSM darum geht, einvernehmlich und lustvoll eine Beziehungsart zu leben, die von dem üblichen Modell abweicht, nicht darum, jemanden in eine Sexualität hineinzumanipulieren, die nicht die seine ist.
Lange hat es gedauert, bis ich mich dazu durchgerungen habe, den Film zu schauen, was neben der nachvollziehbaren Kritik hauptsächlich mit meiner eigenen sexuellen Positionierung zu tun hat. Ich mag dominante Männer, mochte ich immer schon. Das hat bei mir nie zu einer entsprechenden Beziehung geführt, aber ich fühle mich wirklich sehr stark zu BDSM hingezogen. Außerdem finde ich Jamie Dornan ziemlich heiß, auch wenn er mir saloppe 20 Jahre zu jung ist. Aber mein jüngeres Ich hätte ihm hinterhergesabbert. Ich habe also damit gerechnet, dass 50 shades mein “guilty pleasure” werden würde, mein heimliches Vergnügen, das im krassen Gegensatz zu meinen feministischen Überzeugungen steht. Etwas, zu dem ich mich nicht öffentlich bekenne, weil ich selbst den ethischen Spagat in meinem Kopf nicht aushalte.
Nun habe ich es also getan und – oh boy! – wo soll ich anfangen?
Sexuelle Unreife allerorten
Der bisher geäußerten Kritik an dem Werk kann ich mich nur anschließen und belasse es hier dabei. Was mir aber besonders unangenehm auffiel, ist die unreife weibliche Sexualität, die hier in allerlei patriarchalen Narrativen beschworen wird.
- Da ist die Frau, die gar keine eigene Sexualität hat, bis ein Mann sie erweckt. Anastasia ist mit Mitte 20 sexuell ein völlig unbeschriebenes Blatt, sie hat auf Greys entgeisterte Frage, ob sie denn noch nie “irgendwelche Dinge” gemacht habe, nur ein kichernd-verschämtes Kopfschütteln parat. Perfektes Material für den steinreichen Kontrollfreak, ihr seine eigene Sexualität aufzudrücken.
- Da ist die unerträglich schmierige Andeutung, dass eine Frau nach ihrer Entjungferung irgendwie besonders strahlt. Auch das ist aus meiner Sicht ein absolut frauenfeindliches Bild, weil es impliziert, dass nur die vaginale Penetration durch einen Mann eine Frau zu wahrer Schönheit (und natürlich einer Sexualität) führen kann.
- Da ist die Forderung des “Doms” Christian Grey, Ana habe ab sofort ihren Zyklus hormonell mit der Pille zu unterdrücken, damit er sie jederzeit ohne den Schutz eines Kondoms ficken kann.
Insgesamt wirkt Ana in ihrer ganzen schüchtern-verklemmten Graumäusigkeit, die dem unfassbaren Reichtum des Mannes völlig unkritisch und mit staunenden Augen begegnet, irgendwie aus der Zeit gefallen. Sie erinnert in ihrer Naivität an Mädchenfiguren vergangener Jahrzehnte, etwa Eliza Doolittle oder Pretty Woman Julia Roberts. Das arme Mädchen, das in absolut allem – Verdienst, Charakterstärke, Erfahrung, Status, Selbstbewusstsein – weniger ist als der Mann und ihm daher gar nicht ebenbürtig begegnen kann, wird von einem Helden aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. In wenigen Situationen zeigt sie zwar Schlagfertigkeit und leistet Widerstand, im großen Ganzen aber ist Ana ein Phantom, eine Menschenhülle ohne Überzeugungen, die nur darauf wartet, von Christian Grey gefüllt zu werden.
Und da landen wir natürlich sofort bei dem vielleicht ältesten aller patriarchalen Narrative: Dass nämlich die Frau nur ein Gefäß ist, ihr eigentlicher Zweck darin besteht, vom Manne befruchtet zu werden. Diese Befruchtung ist heute nicht mehr wörtlich zu verstehen, auch wenn man in der Antike tatsächlich glaubte, die Frau habe keinen Anteil an einer Schwangerschaft, sondern sei nur die passive Blumenerde. Die moderne Befruchtung vollzieht sich ohne Nachwuchs, sie besteht in einer Erweckung des weiblichen Charakters und seiner Lust. Doch ein Gefäß, in das der Mann als einzig aktiv handelnder Part etwas hineintut, bleibt die Frau auch in dieser modernen Version.
Insgesamt wirkt diese ganze Geschichte, als hätte sie eine Fünfzehnjährige geschrieben: voller Unreife. Unreife meint dabei nicht speziell Unerfahrenheit, auch wenn beides im Fall von Anastasia Steele das Gleiche ist. Mit Unreife meine ich viel mehr das naive Annehmen von allem, was Christian tut und sagt. Hinter Anas Verhalten ist keinerlei Lebenserfahrung zu erkennen, keine Lernprozesse, die ihr ermöglichen, auch anders auf ihn zu reagieren. Selbst jemand ohne eigene Erfahrungen lebt doch in einem sozialen Gefüge, in dem verschiedene Menschen verschiedene Erfahrungen zusammentragen. Das gilt nicht nur für den sexuellen Bereich, sondern für alle Lebenssituationen. Ich selbst bin noch nie auf der Straße ausgeraubt worden, aber andere Personen sind es, und ihre Erfahrungen helfen mir, vorsichtig zu sein. Ich hatte noch keine missbräuchliche Beziehung, aber andere haben und hatten sie, und ihre Erzählungen informieren mich über Warnzeichen. Ich habe mir noch nie einen Knochen gebrochen, aber jemand anderes schon und die Schilderung dessen reicht mir, um zu wissen, dass ich das nicht erleben möchte. Ana hat offenbar ihr ganzes Leben unter einem Stein gelebt, um Christian über so lange Zeit so unkritisch zu begegnen.
Meine Neurose ist Deine Neurose
Die Figur des Christian Grey finde ich unabhängig von der BDSM-Thematik sehr problematisch.
Da ist ein Mann mit Kindheitstrauma, der selbiges nie verarbeitet und daraus Charakterzüge und Verhaltensweisen abgeleitet hat, die ihn im Leben weit gebracht haben. Das klingt natürlich erst einmal wie ein schickes Märchen, eine Erfolgsstory, die das Herz jedes Neoliberalen vor Entzücken tanzen lässt. Seine Eigenheiten sind prototypisch für viele Menschen, ich habe sie öfter bei Männern beobachtet als bei Frauen.
Da ist ein Mann, der keine Sicherheit in sich spürt. Und statt nach innen zu schauen und sich zu fragen, warum das so ist, externalisiert er seine Unsicherheit durch Kontrollzwang. Stress, Angst und Unsicherheit lassen nur nach, wenn er absolut alles um ihn her kontrollieren kann. Auch und vor allem Menschen – in diesem Fall an Ana. Nur wenn sie alles genauso macht, wie er es braucht, kann er Ruhe finden. Er bestimmt, welches Auto sie fährt, wie sie sich kleidet, wie viel Alkohol sie trinkt. Das hat nichts mit BDSM zu tun, auch wenn es hier suggeriert wird, sondern damit, dass er die Verantwortung für seine Unsicherheit an sie auslagert. Weicht sie in kleinen Teilen von seinem Programm ab, versetzt ihn das in große Unruhe und Verletztheit, die er ihr durch Liebesentzug spiegelt.
Diese Haltung ist ein großes Problem im Zusammenhang mit Partnerschaftsgewalt, wenn etwa selbstunsichere Männer ihre innere Unsicherheit durch Besitzdenken, übersteigerte Eifersucht und Kontrollverhalten zu kompensieren versuchen. Wo aber Kontrolle zum Zwang wird, ist sie nicht Zeichen von Stärke, von Führungsqualität, natürlicher Autorität, Durchsetzungsvermögen oder wie man das sonst noch so positiv deuten könnte – nein, dann ist sie ein Zeichen von Schwäche. Ein Mensch, der andere stets und ständig kontrolliert und bei Kontrollverlust in welcher Form auch immer unangenehm wird, ist schwach. Vertrauen ist für solche Menschen ein Ding der Unmöglichkeit, denn Vertrauen bedeutet letztlich Entspannung trotz Kontrollverlust.
Anastasia, das fahle, unerfahrene Ding, merkt natürlich nichts davon, weil sie ja unter einem Stein gelebt hat, und findet es einfach irgendwie sexy, dass dieses Musterexemplar des männlichen Geschlechts Hubschrauber ebenso leicht bedienen kann wie sein Klavier. Die Idee, einen als Kind traumatisierten Mann “heilen” zu können, scheint mir (nur anekdotische Evidenz!) unter Frauen sehr verbreitet. Mit mir wird alles anders, ich kann seine zersplitterte Seele zusammenfügen, amor vincit omnia, Liebe überwindet alles. Doch so einfach ist es so gut wie nie und meiner Erfahrung nach ist immer therapeutische Intervention nötig, um aus der Selbstunsicherheit resultierende Kontrollsucht in den Griff zu bekommen.
Der ganz Film feiert einen überbordenden Kapitalismus und ein verstaubtes Männlichkeitsgehabe, das in dem Satz “Ich kämpfe nie fair”, den Grey Ana bei den Verhandlungen um den Dom-Sub-Vertrag entgegnet, gipfelt. Da ist er, der kulturelle Alphamann, der andere für den eigenen Gewinn übervorteilt, der eine unerfahrene Frau zu sexuellen Handlungen drängt, die sie nicht in sich spürt, und der dieses Ziel mit Manipulation und viel Geld erreicht.
Dass die BDSM-Neigung durch das Kindheitstrauma (Sohn einer cracksüchtigen Prostituierten) wieder einmal als abnorme Störung dargestellt wird, ist da nur das Sahnehäubchen.
Frauen, was ist los mit Euch?
Ich gestehe, dass der Film Szenen enthielt, bei denen auch ich mir erotisiert auf die Lippe beißen musste – Jamie Dornan und Dakota Johnson sind nun einmal zwei sehr schöne Menschen und ich mag es, schöne Menschen beim Sex zu sehen (auch wenn er nur für die Kamera gespielt ist). Aber insgesamt hinterlässt mich der Film entmutigt und ein bisschen traurig, denn der massive Erfolg des Buches vor allem bei Frauen ist sicher mehr als nur Katastrophentourismus. Ich vermute, dass es da draußen unzählige Frauen gibt, die sich mit Anastasia Steele identifizieren können, die einen Mann wie Christian Grey tatsächlich begehren würden, die sein übergriffiges Verhalten wirklich als romantisch empfinden. Und in mir tobt ein Streit darüber, ob ich wissen möchte, was in den Köpfen und der Sexualität dieser Frauen los ist, um ihnen die Augen zu öffnen, oder ob ich einfach mutlos aufgeben will.
Die Illusion von Filterblasen besteht ja darin, dass man sich immer als Teil einer Mehrheit sieht. Die Frauen in meiner Filterblase sind mehrheitlich aufgeklärte, wissbegierige, charakterstarke Frauen, die Männer wie Christian Grey sofort erkennen könnten. Aber. Womöglich sind wir nur eine lautstarke Speerspitze, womöglich ist die Mehrheit der Frauen ganz glücklich mit dieser Passivität, die auch eine sexuelle ist. Und diese Vorstellung macht mich sehr müde.
Mit der sexuellen Passivität meine ich natürlich nicht eine devote Neigung, die natürlich auch eher mit Reagieren als Agieren einhergeht. Ich meine das Nichtinteresse an der eigenen Lust, die Ignoranz gegenüber dem eigenen Körper und seinen Erregungstriggern, die Bereitschaft, die eigene Sexualität Männern zu überlassen, die sie beschriften wie das oben erwähnte weiße Blatt Papier.
Ja. Schade eigentlich, dass dieser Text nicht positiv oder wenigstens kämpferisch endet. Ich gehe mir mal einen Kaffee machen.
Jep. Alles dazu gesagt, was es zu sagen gibt. Ich mag nur noch die anekdotische Evidenz spontaner Umfrage aus meiner Filterblase (in Schnitt Jahrgänge 72-1998) hinzufügen: das “sich nicht mit der eigenen Sinnlichkeit, Sexualität und auch nur mäßig Interesse daran beschäftigen” scheint da bis zum Alter von 25 eher öfter als seltener der Fall gewesen zu sein. Schade. Für alle. Um so schöner, wie manche Menschen dann später sich weiter entwickeln, oft leider durch Leidensdruck nicht freiwillig. Meine Fotos dürfen dankbarer Weise Teile davon aufnehmen und zugänglich machen. Da bleibt nur Dankbarkeit.
Werte Frau Meike,
Sie beschreiben meine Meinung zum Buch und Film ideal. Sie haben die notwendigen Worte gefunden. Ich habe es bisher kürzer auf den Punkt formuliert: Phantasieloser und frauenfeindlicher Schwachsinn!
Meine Tochter, geboren 1995, und ihre Freundinnen waren beide Filmteile im Kino gucken und “zum darüber Lästern”. Ich habe Ihr abgeraten, solch einen frauenfeindlichen Konsumshit zu zelebrieren. Erotik, Sex und Beziehungen müssen immer mit Augenhöhe, Achtung und Respekt aller Teilnehmer geführt werden. Nicht erfahrene Menschen müssen Erfahrungen machen und dürfen nicht über-fahren werden. Das ist doch Miss-Brauch unter dem Deckmantel von BDSM.
So tun, als ob der DOM die SUB achtet, aber immer zum Genuss des DOM.
Woran leidet eine Autorin, die sich einen solchen Schwachsinn aus den Fingern saugt?
Ist diese selbst sozial reif?
Werde meine Worte von damals und an meine Tochter mit dem Teilen von Frau Meines Kommentar “vergolden”. Frau Meike, vielen Dank für die herr-lichen 😏 Worte.
Ich verehre Ihren Block!
Es ist ein Unterhaltungsroman, mit völlig fiktiven Personen. Man kann die Story anlysieren, muss es aber nicht. Wenn man sich gut unterhalten hat, ist der Sinn dieses Films erfüllt.
Liebe Frau Meike,
oh ja, diese Müdigkeit und Mutlosigkeit kenne ich (Jahrgang 67) nur zu gut.
Mittlerweile weiß ich, dass Geduld und häufige Ausflüge in andere Filterblasen dabei helfen, sich selbst immer wieder in Frage und zur Verfügung zu stellen.
Bleiben Sie wacker und lustvoll dabei.
Herzliche Grüße
Manuela Komorek (Paartherapeutin 😇)
Mit 18 hatte ich “9 1/2 Wochen” mit Kim Basinger und Mickey Rourke begeistert gesehn…
Mit nun über 50 denk ich mir nur : was für ein Blödsinn.
50 Shades of…whatever = Der Wunsch mal als Normalo dem BDSM treiben zuzusehn, ….aber eigentlich nur Schrott.
Hab im Pornokino mal eine Frau gefragt WARUM sie mit diesem Schwachkopf zusammen ist der sie dort in einer Kammer “bearbeitet” und nur eklig war…. Die Alte war einfach nur strunzdumm.
Und so ist’s leider mit ganz vielen.
Frauen wie Männern.
Nur ein Film um Kohle zu machen.
Anspruch auf Nichts.
Ich lese Ihre Artikel echt gern.
Viel Tiefe.
Wie das Weltall.
Die Gefahr des Nachdenkens ist das sich Verlieren in den ganzen Wahnsinn um uns herum….
Vielen Dank für die Teilhabe, liebe Frau Meike.
Ich liebe mag das immer die Kurve zu kriegen wenn der Psycho (in mir) mich wiedereinmal heruntergerissen hat.
Dein Blog tut echt gut. Eine tolle Spielwiese ist das. Und natürlich auch superhilfreich, dass gesunde Eltern da sind, und mitgeschrieben haben, bin früher selbst häufiger von Veranstaltungen ausgeschlossen worden, was ich heute noch nicht ganz verstehe, aber vielleicht ja morgen. ;-) :-)
Liebe Grüße nach Berlin