image-from-rawpixel-id-3282154-original

Romantische Anziehung in Zeiten des Patriarchats

Bei der Partnerwahl vermischen sich biologische und kulturelle Einflüsse – Zeit, aufzuräumen

Ich habe in meinem Buch “Female Choice – Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation” die These formuliert, dass mit wachsender Unabhängigkeit der Frauen immer mehr Männer keine Partnerin finden würden, und wann immer diese These in Interviews oder Berichten herausgegriffen wird, bekomme ich eine Reaktion: “Wenn immer mehr Männer alleine bleiben, bleiben doch auch mehr Frauen allein”.

Wenn wir als Angehörige westlicher Industrienationen das Wort Partnerwahl hören, denken wir mit großer Wahrscheinlichkeit an eine monogame Liebesbeziehung, womöglich sogar an eine, die ein Leben lang hält. Im globalen Norden sowie in Südamerika ist Polygamie per Gesetz verboten – eine Person, die mehrere andere heiraten möchte, würde sich damit strafbar machen. Da sich das Polygamieverbot nur auf die Eheschließung, also die Anerkennung der Beziehung durch den Staat, beschränkt, bleibt allen Menschen natürlich unbenommen, unverheiratet so viele Partnerinnen und Partner zu haben wie sie verkraften können. Doch das monogame Zusammenleben ist das seit Jahrhunderten, vielleicht sogar Jahrtausenden, vorherrschende Partnerschaftsmodell.

Aus dieser Prägung heraus erscheint es geradezu zwangsläufig, das auf jeden Mann, der ohne Partnerin lebt, auch eine Frau kommt, die Single bleibt.

Und weil das ein wunderschönes Beispiel dafür ist, wie tief patriarchale Strukturen in unserem Denken verankert sind, drösele ich jetzt mal auf, warum diese Reaktion falsch ist.

Und ist dieses Patriarchat jetzt hier bei uns im Raum?

Patriarchale Strukturen zu erkennen, ist nicht immer leicht. Die patriarchale, von Männern für Männer gemachte Zivilisation ist die einzige, die wir kennen, und folglich empfinden wir alle Gegebenheiten um uns herum, die Organisation der Gesellschaft, als normal. Und normal bedeutet immer auch natürlich. Alternativlos. Selbstverständlich.

Wir hinterfragen die Existenz von Lohnarbeit, Religion, Familie und Privathaushalt nicht, weil das alles so tief in uns verankert ist, dass wir nicht auf die Idee kommen, diese Dinge könnten patriarchale Strukturen sein. Und mehr noch: Wir hinterfragen sie nicht nur nicht, sondern entwickeln selbst den Wunsch, in diesen patriarchalen Strukturen zu leben. Wir streben nach Macht und Besitz, wollen Karriere machen – und sehnen uns nach der romantischen Zweierbeziehung, die möglichst lange, am besten ein Leben lang halten soll. Ich nenne diese Blindheit für die Einseitigkeit der Welt die männliche Brille. Wir betrachten alles um uns her durch eine männliche Perspektive und richten daran unsere eigenen Leben aus.

(Lebenslange) Monogamie ist patriarchal

Bei dem Wort Beziehung oder Partnerschaft denken wir vermutlich als erstes an Verliebtheit. An ein geteiltes Leben, geteilte Verantwortung, an Geborgenheit, an Sex. Eine klassische romantische Zweierbeiehung.

Doch bis vor wenigen Jahrzehnten sah das noch anders aus. Es waren vor allem wirtschaftliche Zwänge, die Frauen in die Ehe trieben. Es war “normal”, dass eine junge Frau sich für immer an einen Versorger bindet und Kinder bekommt. Und noch etwas früher waren die Ehen oft von den Eltern der Braut (zum Teil auch des Bräutigams) arrangiert. Sie suchten den Partner nach wirtschaftlichen und Machtinteressen aus, die Tochter hatte kaum Mitspracherecht. Eine Verbindung ohne Romantik war also weitgehend normal.

Ich bin der Überzeugung, dass die sesshafte Zivilisation diese monogame Beziehungsform brauchte, um soziale Spannungen aufgrund hoher Sexualkonkurrenz unter Männern zu lindern und so das friedliche Zusammenleben an einem Ort zu ermöglichen. Das prä-sesshafte Paarungssystem des Menschen war das gleiche wie das der meisten Säugetiere, die female choice, bei der die Weibchen den Zugang zu Sex kontrollieren. Allein dadurch, dass sie nur während ihrer Ovulation paarungsbereit sind und das auch nur bei den prachtvollen Männchen, deren Erscheinung und Fähigkeiten überlebensfähigen Nachwuchs versprechen. Ein Großteil der Männchen (und Männer) bleibt dabei ohne Partnerin, was mit einer hohen Frustration einhergeht.

Die Form des Zusammenlebens zugunsten der Gemeinschaft zu verändern, ist natürlich noch nicht patriarchal. Wenn man sich aber vor Augen führt, dass Frauen in diese Beziehungsform gedrängt wurden, weil Männer den ganzen Besitz für sich beanspruchten, das Land, den Acker, das Vieh, das Haus, und Frauen verboten, diese Dinge zu besitzen, dass also Frauen schlicht keine Wahl hatten, als sich zu fügen, sieht das schon anders aus. Und wenn man bedenkt, dass die Ehe als Zwangsverheiratung minderjähriger Töchter durch die Väter eingeführt wurde, erst recht.

Die (lebenslange) Monogamie entstand nicht, indem sich die Geschlechter an einen runden Tisch gesetzt und gemeinsam überlegt haben, was das Beste ist. Sie entstand auch nicht als Handel, von dem beide – der Mann und die Frau – etwas haben, wie immer wieder behauptet wird. Sie entstand, weil Frauen in die Besitzlosigkeit und damit zur 100%-igen Abhängigkeit vom Mann gezwungen und junge Mädchen von ihren Vätern entrechtet wurden. Männer verteilten sie als Paarungsmaterial unter sich neu. Der Tag der Hochzeit war für Frauen und Mädchen deshalb ein essentielles Datum, weil er bedeutete, dass sie ab dann in (wirtschaftlicher) Sicherheit war und eine Schwangerschaft nicht Armut, Ehrverlust und Elend bedeutete.

Seit Anbeginn der sesshaften Lebensweise sind Frauen die Verliererinnen dieser Lebensweise. Sie mussten sich nicht nur mit Männern fortpflanzen, die sie sich nicht selbst ausgesucht hatten, sondern sie mussten diesen Männern auch dauerhaft und unabhängig von ihrer Zyklusphase sexuell zur Verfügung stehen. Statt hauptsächlich um den Eisprung herum Interesse an Sex zu zeigen, mussten sie jetzt jeden Tag bereit sein, mit ihrem Ehemann Sex zu haben, ob sie ihn nun begehrten oder nicht. Das ist nicht nur eine institutionalisierte Vergewaltigung der Frau, sondern auch eine vollständige Verformung der weiblichen Sexualität, die bis heute anhält.

Aber die Liebe!

Die belgische Psychotherapeutin Esther Perel sagte einmal: “Früher suchten die Menschen außerhalb ihrer Ehe nach der Liebe, heute suchen sie sie in der Beziehung.”

Unser Herangehen an Beziehungen hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts sehr verändert. Zumindest in wohlhabenden, gebildeten Ländern geht es dabei nicht mehr um sexuelle Grundversorgung der Männer oder wirtschaftliche Absicherung der Frau, sondern um eine Art persönlicher Erfüllung.

Seitdem Feminismus und Pille Frauen wirtschaftlich unabhängiger gemacht haben, sind Beziehungen sicher authentischer geworden. Die Frauen tun sich nicht mehr aus Not mit den Männern zusammen oder weil ihre Väter das so verfügt haben, sondern weil sie verliebt sind. Sind sie nicht mehr verliebt, trennen sie sich eher als früher. Was ich für eine sehr, sehr gute Entwicklung halte.

Aber die kulturellen Ideen und Konstrukte rund um Partnerschaften sind deshalb nicht weniger geworden. Im Gegenteil. Die Freiwilligkeit und damit sinkende Eheschließungen machten es nötig, andere Gründe zu finden, Menschen in Beziehungen zu halten. Das klingt ein bisschen nach Verschwörung, nach “die da oben”, aber es ist vielmehr ein Druck, der aus uns, aus der Gesellschaft herauskommt.

Auch wenn wir akzeptieren, dass die meisten Beziehungen nicht für immer halten, ist der Wunsch in uns dennoch ein anderer. Und dieser Wunsch wird von Medien, Werbung, Musik, Film, eigentlich von allem aufgegriffen, was wir so an kulturellen “Gütern” erschaffen haben. Liebe und Romantik sind natürlich nicht erst im 20. Jahrhundert entstanden, aber sie haben sich auch dank technischer Fortschritte seitdem tiefer in die Köpfe eingegraben als jemals zuvor. Überall sieht man monogam lebende Pärchen, die glücklich Hand in Hand in den Sonnenuntergang wandern. Bis vor kurzem beinhaltete jeder anständige Disneyfilm eine monogame Romantik-Erzählung. Alle Märchen endeten auf “…und sie lebten glücklich bis an ihr Ende”. Selbst kleinste Kinder sogen die Idee von der lebenslangen Romantik quasi mit der Muttermilch auf.

Der Tag der Hochzeit wird bis heute als schönster Tag im Leben einer Frau verbrämt und entsprechend riesig ist das Tamtam, das vor allem Frauen um die Planung ihrer Eheschließung machen. Verlobungsring, Kleid, “bridal Make-up”, Geschenke, Größe der Veranstaltung – alles ist extrem wichtig.

Macht das die Partnerschaft weniger patriarchal? In meinen Augen nicht.

Erlernte Wünsche, wie der nach einer monogamen Partnerschaft, sind ebenso Folge patriarchaler Prägung wie misogyne Frauendarstellungen, eine gewisse Keuschheitserwartung an Frauen (Stichwort: “body count”) oder die Tatsache, dass männliche Sexualstraftäter oft empörend glimpflich davon kommen. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit sind die meisten von uns in einer monogamen Familie aufgewachsen mit entsprechend großer emotionaler Fixierung auf eine Mutter und einen Vater. Diese emotionale Fixierung tragen wir bis ins Erwachsenenalter mit uns herum, das, was wir von unseren Eltern bekommen oder auch nicht bekommen haben, fließt in unsere späteren Beziehungswünsche ein. Und wir pressen uns dabei in ein System, das kaum zu unserer sexuellen Natur passt.

Worüber reden wir hier?

Wenn mir also jemand entgegnet, es müssten auch mehr Frauen Single bleiben, wenn mehr Männer Single bleiben, dann hat er vor allem die kulturellen Ideen im Kopf, die aber mit der Art von Partnerschaft, über die ich spreche, nur eingeschränkt etwas zu tun haben. Wenn ich über Partnerschaften spreche, dann meine ich etwas, das seine Wurzeln in unseren Genen hat – eine Anziehung, die soweit wie möglich von ihrer kulturellen Aufladung befreit ist.

Um diesen Unterschied deutlich zu machen, spreche ich oft von SexpartnerInnen, denn “biologische” Anziehung, das heißt Anziehung, die nicht von siebzehn Schrilliarden kulturellen Ideen überlagert wird, beinhaltet nach meinem Verständnis auch immer die intrinsische Motivation zu sexueller Interaktion – vor allem bei den Frauen. Doch dann bekomme ich oft den Einwand zu hören, dass es auch Männern nicht nur um Sex geht.

Das ist zwar wahr und richtig, aber über die sexuelle Komponente hinaus ist die “biologische” Anziehung kaum zu definieren.

Es gibt zwar Hinweise auf die “natürliche” Form des sexuellen Zusammenlebens der Menschen, aber diese sagt natürlich nichts darüber aus, was im Inneren der beteiligten Personen vor sich ging. War ihr Umgang miteinander in dieser “natürlichen” Form liebevoll oder gleichgültig? Worüber haben sie gesprochen? Haben sie einander Trost gespendet? Haben sie so etwas wie Glück miteinander empfunden? Waren sie emotional überhaupt schon so weit entwickelt, solche Gefühle zu haben? Das kann ich nicht sagen.

Sicher scheint mir nur, dass diese “natürliche” Beziehungsform im Einklang mit der menschlichen und hier vor allem der weiblichen Sexualität ist. Und nach Jahrtausenden der Unterdrückung und Verformung der weiblichen Sexualität halte ich einen Wandel hin zu diesbezüglich wahrhaftigeren Beziehungsformen für richtig und notwendig.

Die Anzahl der Anführungszeichen in diesem letzten Abschnitt zeigt übrigens an, wie sehr mir selbst die Schwierigkeit, kulturell geprägte von genetisch geprägte Verpartnerungen zu unterscheiden, bewusst ist. “Natürlich” bedeutet nicht automatisch für die Gemeinschaft besser. “Biologisch” meint nicht automatisch gerecht. Geschlechtliches Zusammenleben ist und bleibt komplex. Vieles gilt es bei dem gesellschaftlichen Wandel, indem wir stecken, zu berücksichtigen. Aber dass wir bei dieser Berücksichtigung patriarchale Prägung von evolutionär Entstandenem trennen müssen, erscheint mir geradezu zwingend.

Fangen wir doch einfach bei unserem Verständnis der heterosexuellen Zweierbeziehung an, die keineswegs alternativlos ist. Weshalb eben mehr Männer ohne Partnerin sein können, ohne dass zwangsläufig auch mehr Frauen ohne Partner sind.

Wenn Ihnen meine Texte gefallen, können Sie mich via Paypal oder mit einer bezahlten Mitgliedschaft ab 3 Euro bei Steady unterstützen, und mich damit sehr glücklich machen.

10 Kommentare

  1. Als Ü60-Singlefrau möchte ich zu diesem Thema ein Loblied auf das Alter und die damit (zumindest bei mir) einhergehende “Lebenserfahrung” und Gelassenheit singen.
    Allerdings hatte auch ich das patriarchal geprägte Ideal der “romantischen Zweierbeziehung” verinnerlicht und habe es drei Jahrzehnte lang gelebt – inklusive gutem Sex (allerdings nur in der ersten Hälfte der Zeit, danach ging die gegenseitige Anziehung so langsam flöten), gemeinsamen Kindern, hypothekenbelasteten Eigenheim, Hund und Garten…
    Der Aufprall nach dem Ende der Ehe war zwar extrem hart, hat aber (aus heutiger Sicht) die während der Beziehung stagnierende Entwicklung meiner Persönlichkeit und die Entdeckung ungeahnter Fähigkeiten und Talente so sehr vorangebracht, dass ich meinem Ex-Gatten mittlerweile sogar dankbar dafür bin, dass er mich wegen einer Jüngeren (der Klassiker ;-) ) verlassen hat. Insofern kann ich das “Lob der persönlichen Krise” ( https://www.fraumeike.de/2022/lob-der-persoenlichen-krise/ ) Satz für Satz unterschreiben!
    Heute ist die Suche nach einer Zweierbeziehung für mich kein Thema mehr; ich habe es mir in meinem Single-Dasein gemütlich gemacht, und die Vorstellung, wieder mit einem Mann zusammen zu leben, hat nicht den geringsten Reiz.
    Es gibt nicht übermäßig viele “echte” Freund*innen in meinem Leben, aber die Freundschaften, die ich pflege, sind sturmerprobt und zutiefst vertrauensvoll. Sex? Ich weiß nicht, ob es an meinem Alter oder an mangelndem Training liegt, aber das Bedürfnis danach hat drastisch abgenommen – und wenn es doch einmal aufploppt, kann ich es problemlos selbst befriedigen. Überhaupt kann ich inzwischen alles selbst erledigen, wofür ich früher einen “Mann im Haus” zu brauchen glaubte – ich habe sogar gelernt, mit einem Akku-Bohrschrauber umzugehen. ;-)
    Liebe? Davon gibt es mehr als genug in meinem Leben. Es gibt die besagten Freund*innen, eine Lieblings-Cousine – und natürlich meine Kinder, die zu wundervollen Erwachsenen mit Herz und Verstand herangewachsen sind.
    Und wenn ich an meine – fürsorglichen – Eltern denke, die eine lebenslängliche Zweierbeziehung geführt haben, dann glaube ich heute, dass beide im Alter möglicherweise zufriedener gewesen wären, wenn sie es nicht mehr unter einem Dach verbracht hätten. Gerade meine äußerst pflichbewusste Mutter hätte dann ein wenig mehr von jenem “weisen Leichtsinn” erleben können, den Angelika Aliti in ihren gleichnamigen Buch beschreibt.

  2. beide – der Mann und die Frau

    Jetzt noch die Zwangsheterosexualität überwinden. Tut nicht weh. Ist übrigens eine der Hauptthesen von Alice Schwarzer.

    • “Zwangsheterosexualität”? Was soll das sein?

      A) Ist damit der jahrhundertealte “Zwang” in Form des patriarchalen Narativs einer lebenslängliche heterosexuellen Zweierbeziehung (“Ehe”) zwischen Frau und Mann gemeint, um den es in dem obigen Blogbeitrag geht?

      B) Oder ist der “Zwang” gemeint, die eigene Geschlechtsidentität entweder als “weiblich” oder als “männlich” zu definieren, während alle anderen Geschlechtsidentitäten (LGBTQIA+) diskriminiert bzw. unterdrückt werden? Darum geht es in dem Blogbeitrag nicht (übrigens auch nicht in “Female Choice”). Zweifellos gibt es einen solchen Druck oder Zwang, nicht nur – von den herrschenden Autokraten bzw. Diktatoren propagandistisch und gewaltsam gefördert – in Russland oder Polen. Sondern auch immer noch bei uns. Hierzulande wird die Diskriminierung von LGBTQIA+ Menschen (neuerdings) jedoch wenigstens nicht mehr von staatlicher Seite durch entsprechende Gesetze unterstützt, was meiner Meinung nach dem Aktivismus einer wachsenden (und von ewiggestrigen Reaktionären auch deshalb viel geschmähten) “woken” Community zu verdanken ist.

      c) Oder meint “Zwangsheterosexualität” etwa, dass sämtliche Menschen, die sich selbst als hetero empfinden (wie ich z.B.), dies im Grunde genommen überhaupt nicht sind, sondern bloß einen patriarchal geprägten Zwang verinnerlicht haben?
      Falls eine solche Bedeutung gemeint sein sollte, halte ich es für Bullshit.
      Die Vorstellung, dass Kinder durch Information über Heterosexualität, durch Hetero-Beziehungen in ihrem Umfeld bzw. durch gesellschaftlichen Druck “lernen”, heterosexuell zu sein, ist ebenso absurd wie die von den bereits erwähnten, faktenresistenten “Ewiggestrigen” immer wieder geäußerte “Befürchtung”, Kinder würden durch Aufklärung über die verschiedenen Formen menschlicher Sexualität schwul, lesbisch oder was auch immer werden… Oder: Dass Jugendliche durch einen herbeifantasierten (übrigens auch von Alice Schwarzer so bezeichneten) “Trend” bzw. eine “Trans-Mode” dazu “verführt” werden, die eigene – in besagten Kreisen als “normal” angesehene – Geschlechtsidentität im LGBTQIA+ -Bereich zu verorten.

      Wenn daher im Zusammenhang mit einer der drei möglichen Bedeutungen von “Zwangsheterosexualität” ausgerechnet auf eine “Hauptthese” der erklärtermaßen transfeindlichen Ex-Feministin Alice Schwarzer verwiesen wird (wie es in dem kryptischen Kurzkommentar vom Kathrin P. der Fall ist), wirft das noch weitere Fragen auf…

      Auch mich hat Schwarzers Buch “Der kleine Unterschied” in den 1970ern inspiriert. Spätestens mit ihren Kommentaren zum angeblich “kulturell bedingten” Sexismus geflüchteter muslimischer Männer hat sie sich jedoch als starrsinnige, in gefährlichem Schubladen-Denken verhaftete Egomanin entpuppt, der jede Hetze und jede Provokation recht ist, wenn sie sich damit nur ins Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken kann.
      Von 2014 bis 2016 war ich in einer Initiave zur Unterstützung geflüchteter Menschen engagiert und bin Männern aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak begegnet, die sich Frauen gegenüber respekt- und rücksichtsvoller verhielten als so mancher “Bio-Deutscher”. Ich könnte Dutzende von Beispielen dafür anführen – weswegen mich Alice Schwarzers Hetze sehr schockiert und zornig gemacht hat…
      Sie scheint eine weibliche Version jener “alten weißen Männer” zu sein, die geistig in ihren Meinungen und Denkweisen von vor 30, 40 Jahren “hängengeblieben” sind und seitdem nichts mehr dazugelernt haben – aber sich dennoch als allwissende Vordenker*innen fühlen, die dem minderbemittelten Rest der Bevölkerung (also uns allen) die Welt erklären müssen.
      Hier jetzt noch auf das jüngste Beispiel für Schwarzers wahnhafte Überschätzung der eigenen intellektuellen Kapazitäten – das zusammen mit Wagenknecht initiierte, von der AfD gefeierte “Manifest” – einzugehen, sprengt wohl ein wenig den Rahmen eines Kommentars zu “Romantische Anziehung in Zeiten des Patriarchats”. Ich verlinke hier deshalb nur den “Offenen Brief an Alice Schwarzer” der großartigen Sarah Bosetti: https://www.zdf.de/comedy/bosetti-will-reden/bosetti-will-reden-vom-4-mai-2022-100.html

      • Was soll das sein?

        Die Internet-Suchmaschine Google ist bekannt? Auf der ersten Ergebnis-Seite findest du unter anderem eine Übersicht zum Thema, ganz vorn einen Text von Judith Butler von 1999, auf emma.de. Aber auch wissenschaftliche Studien.

        • Evas Beitrag ist sehr klug und gut durchdacht.

          Dass sie es versäumt hat, sich über den Begriff Zwangsheterosexualität näher zu informieren, ist meiner Einschätzung nach ihrem eigenständigen Denken geschuldet: Sie betrachtet die Dinge aus mehreren Perspektiven und verbaut sich nicht voreilig den Horizont, indem sie nur “wiederkäut”, was andere geschrieben haben. Dies ist in meinen Augen kein Ausdruck von … keine Ahnung, Dummheit oder so. Ganz im Gegenteil. Letztendlich kann man sich ja nur so seine geistige Unabhängigkeit bewahren.

          Jedenfalls gefällt mir ihr Beitrag. Deshalb möchte ich hier eine Lanze für sie brechen. :-)

          • Vielen Dank für diese Antwort!
            Da ich mich seit einigen Jahren (zugegebenerweise immer noch allzu oft vergeblich…) in gewaltfreier Kommunikation übe – und deshalb an diesem Blog auch den freundlichen, um echte Kommunikation bemühten Ton der meisten Kommentare sehr schätze – hatte ich es mir verkniffen, selber auf die obigen “Hinweise” auf Google oder Emma zu reagieren.
            Aber es tut sehr gut zu wissen, dass meine Unkenntnis hinsichtlich der – offenbar ziemlich vielfältigen – Definitionen des Begriffes “Zwangsheterosexualität” nicht von jeder Leserin und jedem Leser als Ausdruck von “Dummheit oder so” ;-) interpretiert wird.

  3. mir leuchtet nicht ein wieso die “natürliche” Beziehungsform besser sein sollte als das was wir momentan haben. Ich halte Ihre Ideen für viel schlimmer. 80 % der Männer sollen kein Sex mehr haben? Der faschistische Backlash wäre verheerend. Was Sie Eingangs erwähnten trifft heute noch 1:1 zu.

  4. Dass dir das nicht einleuchtet, ist schon klar. Warum sollte es dich stören, wenn Frauen seit Jahrtausenden sexuell reglementiert werden und nicht nach ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen handeln dürfen.

    Wenn Männer im Gegenzug Frauen wenigstens Respekt und Wertschätzung entgegenbringen würden. Stattdessen ging diese Entwicklung ja einher mit wachsender Misogynie.

    Wie auch immer: Frauen müssen sich also f*cken lassen. Sie müssen, weil Männer sonst zu Faschisten werden. Wenn das passiert, sind die Frauen schuld. Nicht die Männer. Korrekt?

    • Den Zusammenhang zwischen einer sexuellen Grundversorgung der Männer und einem friedlichen Zusammenleben in sesshaften Gemeinschaften halte ich für sehr wahrscheinlich. Die hohe Sexualkonkurrenz in Gemeinschaften, in denen Frauen ihre Sexualität frei leben, macht Männer aggressiv, was zu sozialen Spannungen führt. Der Kommentator oben hat das bestätigt und übherspitzt weitergedacht. Das hat nichts mit Schuld zu tun, bitte nicht rumpampen.

      In meinem Buch und meinen Artikeln habe ich niemals gesagt, dass ich ein 80:20-Verhältnis befürworte. Aber ich befürworte eine Zivilisation, die nicht auf den Schultern eines Geschlechts (hier: der sexuell entrechteten Frauen) gestaltet wird und von der im Wesentlichen Männer profitiert haben, während Frauen in der Anonymität und Bedeutungslosigkeit der Mutterschaft im Privathaushalt versackt sind. Eine Zivilisation, in der Frauen nicht unter Aufgabe ihrer Sexualität und Lust in monogame Partnerschaften gezwungen werden. Ja, ich befürchte auch, dass das zu einem Backlash führen wird – immerhin basiert die ganze männliche Zivilisation auf der sexuellen Entrechtung der Frau. Und ja, diesen Backlash muss man systemisch mitdenken und rechtzeitig abpuffern. Was aber nur geht, wenn man das ganze Thema Sexualität überhaupt als zivilisationsgestaltenden Faktor anerkennt.

Kommentare sind geschlossen.