Hannover 2.0

Einer der erschütterndsten Funfacts über mich ist, dass ich mal in Hannover gewohnt habe. Über vier Jahre sogar.

Und wenn ich sage “Ich hasse Hannover”, dann darf ich das. Im Gegensatz zu allen anderen, die Hannover nur vom Hörensagen hassen. Man hört ja so viel über Hannover. Voll provinziell. Hässliche Bauwerke. Null Stadtcharakter. Kleingeistige Spießigkeit. Miese Infrastruktur.
Es stimmt alles. Und es ist alles total hassenswert.
Aber hört bloß auf, das zu sagen, wenn Ihr da nicht gewohnt habt. Ich darf das sagen, ich hab’ da gewohnt, aber Ihr nicht, jedenfalls nicht alle.

Meiner morbiden Faszination für Fritz Haarmann ist es zu verdanken, dass ich mich, obwohl ich schon seit fast sieben Jahren nicht mehr in Hannover wohne (ZUM GLÜCK!), doch immer wieder damit beschäftige. Fritz Haarmann ermordete 1923/24 mindestens 24 Jungen in Hannover.
Ich fand zum Beispiel heraus, dass ich in Hannover nur wenige Gehminuten von dem Haus entfernt gewohnt habe, wo Fritz Haarmann und so weiter.

Jedenfalls. Wenn mich etwas interessiert, dann interessiert es mich. Dann sauge ich jeden Schnipsel auf, den ich dazu finden kann. Aus diesem Grunde näherte ich mich neulich in eindeutiger Absicht der Facebook-Seite des Historischen Museums Hannover und fragte nach Bildmaterial. Also Bildmaterial aus den 20er Jahren. Straßenszenen, Stadtbild, Leute, na, und lauter so Sachen.
Und was dann kam, war ein ziemlicher Knaller und ein perfektes Beispiel dafür, wie Service im Web2.0 zu funktionieren hat.

Nach meinem öffentlichen Posting auf der FB-Seite versprach man mir, mich zeitnah mit Kontaktdaten des zuständigen Mitarbeiters zu versorgen. Stattdessen erhielt ich am nächsten Morgen, also keine 24 Stunden nach meiner Anfrage, direkt eine Mail vom zuständigen Mitarbeiter. Der gab mir Auskünfte über Auskünfte, nannte Namen und Emailadressen von Leuten, die mir weiterhelfen konnten, suchte ISBN-Nummern und Titel heraus und sagte mir, wo ich die Dinge zu welchem Preis bestellen konnte.
Um es vorsichtig auszudrücken: ich hätte ihm beinahe meinen BH mit der Post geschickt, so begeistert war ich.

Aber, liebes Bisschen, es ging ja noch weiter.
Ich mailte der entsprechenden Mitarbeiterin, dass ich an einem Ausstellungskatalog interessiert sei, worauf sie mir nochmal alle entstehenden Kosten hypertransparent aufzählte und dann anbot, die Bestellung auszulösen.
Mittlerweile hatte mir der tolle Mitarbeiter von vorher aber noch einen Filmtitel nachgeschoben, der für mich interessant sein könnte, und weil ich das auch glaubte, fasste ich die Filmbestellung und die Buchbestellung gleich zusammen.
Ich erhielt als Antwort “Den Film ‘Das Gesicht einer Stadt’ können Sie beim Freundeskreis des Historischen Museums e. V. erwerben. Ich habe Ihre Email auch gleich weitergeleitet, damit Ihre Bestellung dort zeitnah bearbeitet werden kann.“.

Ich meine, hallo?
Wir haben das Jahr 2012! Jeden Tag versagen Hunderttausende Unternehmen an dem Monster Social Media und bieten “Service” zum Weinen und ausgerechnet Hannover, das piefige, unfreundliche und hässliche Hannover, das zu Recht als Tiefpunkt meines Lebens betrachtet werden kann, reagiert, als sei es praktisch im Web 2.0 aufgewachsen!
Ich bin enttäuscht und verletzt, dass das Historische Museum es mir so schwer macht, auch weiterhin ALLES an Hannover scheiße zu finden.

Abspann
Ich habe in Hannover tolle Leute kennengelernt. Während meiner Doktorarbeit in der echten Welt und später über das Internet (Hallo, Herr Möller!). S. ist mir bis heute eine sehr nahe Freundin und so etwas wie eine Seelenverwandte hatte ich in Hannover auch mal.

Aber trotzdem.
Ich hasse Hannover. Jeder, der da gewohnt hat, darf das sagen.
Alle anderen sollen die Fresse halten und sich erstmal um ihre Facebook-Seite kümmern.

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8 Kommentare

  1. ich hab da auch mal ein wg zimmer gehabt! also dürfte ich es auch sagen, aber hass ist mir einfach ein zu starkes gefühl für eine stadt, vor allem für diese.

    ich bin nur extremst froh, seit 2005 dort nicht mehr hin zu müssen… immer wenn ich daran denke, grinse ich und ich rufe innerlich ein lautes yippppiiiiiihhhhh… (und da ich alleine hier bin, diesmal auch ein lautes!)

  2. Ich habe auch mal in Hannover gewohnt. Von 1990 bis 1997. Ich fand das damals erst ok, dann nicht mehr so ok und irgendwann furchtbar. Aber jetzt, nach so vielen Jahren, habe ich meinen Frieden mit Hannover gemacht und mag die Stadt inzwischen. So kann’s einem auch gehen.

    “DIe ganze Welt wird immer doofer, richtig toll ist nur Hannover.” H. Schmidt

  3. Ich kenne in Hannover nur den Bahnhof, den Flughafen und die Messe. Dazu kann ich nichts Negatives bemerken. Dafür finde ich Paderborn richtig Scheisse und das, obwohl ich dort nur zwei Tage meines Lebens verbracht habe ;-)

  4. “Miese Infrastruktur.”
    Man kann ja vieles von Hannover behaupten, aber genau die ist für eine Stadt dieser Größe ziemlich a-okay.

  5. also ich hab 4,5 jahre in hannover studiert (und das als berlinerin!) und ich finde, hannover ist ungefähr 13 mal besser als sein ruf. in welcher anderen stast ist man denn innerhalb von 10-15 minuten mit dem rad sowohl an einem bebadebaren see als auch in einem schlossgarten als auch im größten europäischen binnenwald? öffentlicher nahverkehr funktioniert auch 1a und als student konnte man echt nicht klagen. also: so sehr mein herz natürlich für berlin schlägt, so sehr halte ich die hannover fahne auch und finde, es wird sehr ungerecht behandelt.

  6. Schade das du Hannover so hasst. Was auch immer das ausgelöst hat. Freut mich, daß die Hilfe durch das Historische Museum es dir schwerer macht, an dieser Meinung festzuhalten. Vielleicht bekommt Hannover, in ein paar Jahren, bei dir nochmal ein Chance. Es wird besser.

  7. Ich bin am Rande dieser Stadt aufgewachsen. In einem kleinem Ort am Deister. (Das ist der kleine Hügel im SW von Hannover mit den Bäumen drauf.) Je mehr Teenager ich wurde, umso mehr war ich in Hannover. Für diese Zeit, war diese Stadt und Ihre Angebote komplett ausreichend.
    Nun lebe ich aktuell in Berlin und muss sagen, wow…so kann eine Stadt auch sein?! Diese Dichte von Angeboten kann Hannover nicht abdecken. Dafür fehlt einfach der Einfluss von allem, was z.B. auf Berlin einwirkt.
    Ich finde, Hannover macht was aus sich, auch wenn man es nicht mit anderen Städten vergleichen kann. Vielleicht ist diese Stadt ein wenig wie der Programmiererfreund, welcher nur im Keller bei künstlichem Licht hockt und ein Herz aus Gold hat.

  8. Ihr habt Hannover alle nicht richtig verstanden. Hannover ist die Stadt der Synergien.
    Die studentische Psyche wird durch Langeweile gestählt – später oft im Job nützlich.
    Messegäste werden geschröpft, während zeitgleich Leberwerte so hoch steigen, dass jede Ariane-Trägerrakete neidisch wird.
    Liebenswerte Damen aus Osteuropa können in zuletzt genanntem Personenkreis im Gegenzug gefahrlos erste Erfahrungen im ältesten Gewerbe der Welt sammeln.
    Nazis können unbehelligt Häuserkampf proben, weil die Ordnungskräfte hier zeitgleich Intolegnoranz üben.
    Und schließlich und endlich wird in einem Brauhaus ein naturtrübes Bier ausgeschenkt, das nicht nur so schwindelig macht, dass man zunächst glaubt, man wüsste nicht mehr wo man sei – weit gefehlt – spätestens am nächsten Tag bringt der Geruch von Pi… und Ko… in der Innenstadt alle Erinnerungen zurück.
    Der ein oder andere mag jetzt denken: “Booooaaah! Das ist aber gemeeiiiin!”
    Ich habe versucht dort zu leben; ging nicht. Außerdem… war Wut hier nicht irgendwie Thema.
    …und sollte ein/e Hannover/in wütend sein – zeigt der Welt was Synergie bedeutet; leitet die Energie der Wut um und macht was aus eurer Heimat.

    p.s. Einmal, nur einmal wollte ich etwas auf dem Niveau von Oliver Pocher von mir geben – schließlich ist er Hannoveraner.

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